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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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blieb sie stehen und wandte den Blick in die Höhe des gotischen Gewölbes. Als sie die Augen senkte, schaute sie für einen Moment auf Brodka; es schien sogar, als neigte sie den Kopf leicht zur Seite wie zum Gruß. Dann drehte sie sich um und setzte ihren Weg fort.
    »Brodka«, wiederholte Juliette, »was hast du?«
    Als würde er aus einem Traum erwachen und versuchen, ein Trugbild von sich abzuschütteln, machte Brodka ein paar heftige Kopfbewegungen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Und während er immer noch nach vorn starrte, sagte er atemlos: »Meine Mutter. Das war …«
    Die Stimme versagte ihm. Sein Blick ging an Juliette vorbei zu der Frau, die sich inzwischen etwa zwanzig Meter entfernt hatte.
    »Was ist denn los, um Himmels willen?« fragte Juliette besorgt.
    »Es ist meine Mutter!« stieß Brodka hervor und starrte unverwandt auf die Frau, die sich über den Mittelgang entfernte.
    »Unsinn«, sagte Juliette. »Deine Mutter ist tot.«
    »Aber sieh doch!« Brodka wies mit dem Finger in Richtung der alten Dame, die zwischen den anderen Besuchern verschwand.
    Juliette drückte seine Hand herunter. »Deine Nerven spielen dir einen Streich«, meinte sie beschwichtigend und nahm seine Hand. »Es war einfach zuviel, was in den letzten Wochen auf dich eingestürzt ist.«
    Brodka riß sich los. Er sprang auf und stürmte in Richtung der Frau, die plötzlich aus seinem Blickfeld verschwunden war. Er stieß ein paar Touristen um, als er über den Mittelgang stürmte. »Mutter!« schrie er, daß es durch den Dom hallte.
    An der Stelle angelangt, wo er die Frau zuletzt gesehen hatte, warf er hastige Blicke nach beiden Seiten, konnte die alte Dame aber nirgends ausmachen. Er rannte nach links, zwängte sich durch eine Bankreihe, stieg auf die Sitzfläche und machte einen weiten Satz über eine Betende hinweg. Ein Ständer mit brennenden Opferkerzen fiel um. Ein Altartuch fing sofort Feuer. Ein vielstimmiger Aufschrei hallte durch den Dom.
    Als er die Frau auf dieser Seite des Kirchenschiffes nicht entdecken konnte, hetzte Brodka, wirr um sich blickend, in Richtung des Hauptaltars, stolperte, rappelte sich auf kletterte über ein Absperrgitter und stieß, ohne es zu bemerken, gegen einen Betstuhl, der lärmend zu Boden krachte.
    Brodka umrundete den Altar, als hätte die Frau sich dahinter versteckt, und schaute mit wildem Blick um sich. Das Haar hing ihm wirr in die Stirn. Sein Gesicht war kreidebleich. »Mutter?« rief er. »Mutter!«
    Beißender Qualm zog durch das Kircheninnere.
    Die Besucher duckten sich in die Bänke. Vom Stephansplatz hörte man Polizeisirenen. Augenblicke später drangen durch mehrere Eingänge zugleich und von allen Seiten Polizisten in den Dom ein. Ein schriller Pfiff gellte durch das Gotteshaus; dann waren nur noch die dumpfen, polternden Tritte von Polizeistiefeln zu vernehmen.
    Brodka tauchte hinter einer Säule auf. Sein wirrer Blick huschte nach allen Seiten. Er wirkte wie ein Mann, der den Verstand verloren hatte.
    Während einige der Polizisten die auflodernden Flammen erstickten, stürzten sich zwei von ihnen auf Brodka und rissen ihn zu Boden. Einer zerrte ihn auf die Seite, der andere legte ihm Handschellen an. Brodka trat mit den Beinen, schrie, wehrte sich. Der eine Beamte rammte ihm ein Knie in die Seite. Brodka brüllte auf.
    »Tun Sie ihm nichts!« rief Juliette, stieß die Polizisten zur Seite und stellte sich schützend vor Brodka.
    Um die Gruppe herum bildete sich in Windeseile eine Traube schimpfender und geifernder Menschen.
    »Ich kann alles erklären!« sagte Juliette zu den Beamten, während sie Brodka aufhalf.
    Inzwischen waren sie von einem halben Dutzend Polizisten umstellt; dahinter sammelten sich gut fünfmal so viele Gaffer.
    Rufe hallten durchs Kirchenschiff. »Ein Irrer!« – »Ein Wahnsinniger!« – »Der Mann hat den Verstand verloren!«
    »Sie sind seine Frau?« fragte der Einsatzleiter.
    »Ja«, log Juliette.
    »Hat er so etwas schon öfter getan?« Im Blick des Einsatzleiters lag eher Spott als Mitgefühl.
    In Juliette stieg Wut auf. Sie konnte sich nur mühsam beherrschen.
    »Nein«, entgegnete sie heftig. »So etwas hat mein Mann noch nie getan. Aber wenn ich Ihnen den Grund für sein Verhalten erkläre, werden Sie ihn gewiß verstehen.«
    »Wenn Sie meinen«, bemerkte der Polizist zynisch und warf seinen Kollegen einen vielsagenden Blick zu.
    Juliette schaute Brodka ins Gesicht. Er war kreidebleich.
    »Wir haben den Dom besichtigt«,

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