Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
Willen nicht erklären. Ob sie darauf eine Antwort wisse?
    Juliette schüttelte den Kopf.
    Hinter einem Gitterverschlag, an dem ein Schild mit der Aufschrift ›Brodka‹ angebracht war, herrschte ein heilloses Durcheinander. Mobiliar und Kisten waren aufgebrochen. Kleidungsstücke und Wäsche lagen verstreut.
    »Sieht so aus, als habe jemand hier etwas ganz Bestimmtes gesucht«, meinte der Verwalter, während er Kleidungsstücke in eine Kiste zurücklegte. »Gewöhnliche Einbrecher waren das jedenfalls nicht. Das ist auch die Meinung der Polizei.«
    »Sie meinen, daß die Einbrecher es gezielt auf diese Sachen abgesehen hatten?« fragte Juliette.
    »Was würden Sie denn meinen?« erwiderte der Mann im grauen Kittel leicht ironisch. »Es ist doch merkwürdig, daß 169 Container unbeachtet blieben und nur dieser eine die Einbrecher interessiert hat.«
    »Weiß man denn schon, was gestohlen wurde?«
    »Nein«, erwiderte der Verwalter. »In unseren Inventarlisten führen wir nur die Möbelstücke und die Anzahl der Kisten auf! Den Inhalt kennen wir nicht.«
    Voller Unruhe sammelte Juliette die herumliegenden Kleidungsstücke ein und verstaute sie in den aufgebrochenen Kisten. Ihr wurde allmählich klar, daß dieser Einbruch auf das Konto jener Leute ging, die hinter Brodka her waren. In welch undurchdringliches Netz geheimnisvoller Geschehnisse mochte Brodka verstrickt sein?
    Nachdenklich kehrte sie in Brodkas Wohnung zurück, nahm ein heißes Bad und schlüpfte in Brodkas Bademantel, ein rot und blau gestreiftes Kleidungsstück aus Frottee, das so häßlich war, daß es Juliette trotz allen Kummers ein Schmunzeln entlockte. Geschmack ist manchmal Glückssache, vor allem bei Männern.
    Um sich die Zeit zu vertreiben – und ein bißchen auch aus Neugierde –, ließ Juliette den Blick über die Buchrücken in den Regalen, die Fotoausrüstungen und den vielen in der Wohnung verstreuten Krimskrams schweifen, der einen Junggesellenhaushalt so liebenswert chaotisch erscheinen läßt.
    Dabei stieß sie auf ein altes Fotoalbum. Jugendfotos. Bilder aus Brodkas Ehe. Italienurlaub im Kleinwagen. Taubenfüttern auf dem Markusplatz. Zeugnisse aus einer anderen Zeit.
    Brodkas erste Frau war attraktiv, groß und schlank und blond, vom Typ her das Gegenteil Juliettes. Und wenn sie Brodka auf den alten Fotos betrachtete, bezweifelte sie, daß sie sich damals in ihn verliebt hätte.
    Auffallend war, daß es keine Bilder aus Brodkas Kindheit gab. Sein Leben begann, so schien es, erst im Alter von siebzehn, achtzehn Jahren.
    Wie alle, die ein Fotoalbum betrachten, blätterte Juliette von hinten nach vorn. Als sie etwa in der Mitte angelangt war, hielt sie verwirrt inne. Sie erkannte die Frau auf dem Foto auf Anhieb. Ja, sie trug sogar dasselbe auffällig karierte Kostüm, denselben breitkrempigen schwarzen Hut. Es war Brodkas Mutter.
    »Mein Gott«, stammelte Juliette halblaut. »Das gibt's doch gar nicht!«
    Sie betrachtete das Foto ganz genau; dann ließ sie das Album auf die Knie sinken. Juliette fühlte, wie das Blut in ihren Schläfen hämmerte; sie rang nach Luft, ihr wurde übel.
    »Es darf nicht sein«, murmelte sie halblaut, und sie ballte die Fäuste, als wollte sie das Schicksal bezwingen. Von einer Sekunde auf die andere wurde ihr Brodkas Reaktion im Stephansdom verständlich. Sie hatte seine Mutter nie gesehen, aber die Ähnlichkeit mit der Frau in Wien war eindeutig.
    »Jetzt kann ich verstehen, daß du ausgerastet bist, Brodka«, murmelte sie halblaut und kramte einen Zettel mit der Nummer der Psychiatrischen Anstalt in Wien aus ihrer Handtasche. Sie rief dort an, bekam aber nur einen Pfleger an den Apparat, der ihr mit kühler, unbeteiligter Stimme die Auskunft gab, daß sich an Herrn Brodkas Zustand nichts geändert habe. Er befinde sich noch immer im Tiefschlaf.
    »Es geht mir um etwas anderes«, sagte Juliette. »Ich …«
    »Weitere Auskünfte darf Ihnen nur der Stationsarzt geben«, unterbrach sie der Pfleger.
    »Dann holen Sie ihn an den Apparat.«
    »Der Herr Doktor«, sagte der Pfleger schroff, »ist vor morgen nicht zu erreichen.«
    Dann legte er auf.
    An diesem Abend ahnte Juliette nicht, daß sie ihre geplante Reise nach Wien würde aufschieben müssen. Und niemals wäre sie auf die Idee gekommen, die Ereignisse der folgenden Tage mit Brodka in Verbindung zu bringen.
    Es begann damit, daß am nächsten Morgen ein Staatsanwalt in Begleitung von zwei Kriminalbeamten und einem Polizisten in der Galerie

Weitere Kostenlose Bücher