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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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begann Juliette, »als mein Mann seine Mutter unter den Besuchern zu erkennen glaubte …«
    »Ja, und?« Der Einsatzleiter wurde ungeduldig.
    »Seine Mutter ist tot.«
    »Ich verstehe«, bemerkte der Polizist. An seine Kollegen gewandt, sagte er knapp: »Baumgartner Höhe.«
    Beifälliges Murmeln war aus den Reihen der Gaffer zu vernehmen. Die Baumgartner Höhe war die psychiatrische Anstalt der Stadt Wien im 14. Bezirk. Ein Bauwerk, das geeignet war, jedem Angst einzuflößen, der es auch nur von außen sah.

K APITEL 5
    Juliette betrat Brodkas Wohnung in München, zog die Tür hinter sich zu, stellte das Gepäck mitten im Zimmer ab und ließ sich erschöpft auf die Couch fallen.
    Die Ärzte der psychiatrischen Anstalt hatten Brodka in eine Art Heilschlaf versetzt und Juliette zu verstehen gegeben, daß sie den Patienten zwei bis drei Wochen zur Beobachtung in der Klinik behalten müßten. Überstürzt war Juliette aus Wien abgereist, nachdem Journalisten ihr Hotel belagert hatten, zumal sie das Gefühl hatte, in dieser Situation ohnehin nichts für Brodka tun zu können. Sie hoffte, durch die Arbeit in ihrer Galerie auf andere Gedanken zu kommen. Zu ihrem Ehemann wollte sie nicht mehr zurück, das stand fest.
    Juliette schloß die Augen, doch die Bilder, die aus dem Dunkel vor ihr auftauchten, machten alles nur noch schlimmer. Immer wieder sah sie Brodka vor sich, wie er in einen Streifenwagen gezerrt und mit Blaulicht in die Nervenklinik gebracht wurde. Sie sah sein bleiches, eingefallenes Gesicht, auf dem sich eine seltsame Mischung aus Fassungslosigkeit und Fatalismus spiegelte – das Gesicht eines Mannes, dessen Verstand nicht mehr verarbeiten kann, was er erlebt hat.
    Doch wenn Brodka zehnmal behauptete, die Frau im Dom sei seine Mutter gewesen – für Juliette stand fest, daß er sich getäuscht hatte. Seine Nerven hatten ihm einen Streich gespielt. Bei aller Härte, die Brodka in seinem Berufsleben entwickelt hatte – was in den letzten Wochen auf ihn eingestürmt war, hatte ihn aus der Bahn geworfen.
    Juliette atmete tief durch und schlug die Augen auf. Auch sie selbst war völlig mit den Nerven herunter. Sie erhob sich, ging unruhig ein paar Schritte auf und ab und fuhr heftig zusammen, als plötzlich das Telefon klingelte. Es war die Spedition, bei der Brodka die Möbel und die anderen Habseligkeiten seiner Mutter hatte einlagern lassen.
    In die Lagerhalle sei eingebrochen worden, erklärte ein Angestellter. Vermutlich seien einige Dinge aus Brodkas Besitz geraubt worden. Ob sie vorbeikommen könne? Es sei dringend.
    Zuerst wollte Juliette ablehnen, wollte dem Mann erklären, daß sie mit der Angelegenheit nichts zu tun habe und den Nachlaß nicht kenne; dann aber wurde ihr klar, daß Brodka sich in frühestens zwei Wochen mit der Sache befassen konnte. Also machte sie sich auf den Weg.
    Das Lagerhaus befand sich im Norden der Stadt zwischen Bahngleisen und einem Tiefbauunternehmen, das hier mannshohe Kanalrohre und Baugerüste lagerte. Als Juliette den Wagen vor dem Lagerhaus parkte, trat der Verwalter, eine Dogge an der Leine, aus einem kleinen Anbau hervor, grüßte höflich und beteuerte, die Firma sei versichert und der Einbruch sei bereits von der Polizei aufgenommen worden; sie brauche sich also keine Sorgen zu machen.
    Juliette erklärte dem Mann im grauen Kittel ihre Situation und ließ ihn wissen, daß der Eigentümer in den nächsten Wochen unabkömmlich sei. Dennoch bat der Verwalter sie, den Schaden zu begutachten.
    Das Lagerhaus war so lang wie ein Fußballfeld und erstreckte sich über zwei Stockwerke. Aufeinander und nebeneinander gestapelt lagerten hier zu beiden Seiten zweier Längsstraßen – zum Teil in Verschlagen aus Drahtgeflecht, zum Teil in verschlossenen Containern – Wohnungseinrichtungen, ja das Inventar ganzer Häuser und Geschäfte. Manches davon wartete schon seit Jahren auf seinen rechtmäßigen Besitzer, wie der Verwalter erklärte.
    Auf dem Weg zum hinteren Teil der Halle, die nur spärlich beleuchtet war, erklärte der Mann, Einbrüche seien hier äußerst selten, weil die Halle Tag und Nacht bewacht werde und es äußerst mühsam sei, Mobiliar und andere sperrige Gegenstände abzutransportieren. Der letzte Einbruch liege mindestens sechs Jahre zurück, wenn er sich recht erinnere. Weshalb die Diebe sich ausgerechnet Brodkas Besitz ausgesucht hätten – alle anderen Verschlage und Container seien unangetastet geblieben –, könne er sich beim besten

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