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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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sie konnte, rannte Juliette los.
    Inzwischen redete Brodka mit ruhiger Stimme auf Carracci ein: »Signore Arnolfo, können Sie mich verstehen?«
    Zuerst zeigte der alte Mann keine Reaktion.
    »Was ist mit Ihnen? Haben Sie Schmerzen?« Brodkas Stimme wurde eindringlicher.
    Plötzlich begann Arnolfo zu röcheln, leise zuerst, dann immer lauter, bis er schließlich keuchend nach Luft schnappte, als wäre er kurz vor dem Ersticken aus dem Wasser aufgetaucht.
    Gott sei Dank, er lebt, dachte Brodka und beobachtete, wie Arnolfo den rechten Arm hochhob, als wollte er auf etwas zeigen. Doch es blieb bei dem Versuch. Arnolfo ließ den Arm sinken und drohte von der Mauer vornüber auf den Boden zu stürzen. Brodka fing ihn auf und lehnte ihn ans Mauerwerk.
    Aus der Ferne näherte sich Sirenengeheul. Kurze Zeit später kam Juliette im Laufschritt mit einem Notarzt und zwei Sanitätern.
    »Er lebt«, sagte Brodka drängend. »Beeilen Sie sich!«
    Während die Sanitäter Carracci auf eine Bahre legten, überprüfte der Notarzt seine Augenreflexe und setzte eine Infusion.
    »Wie heißt der Mann?« fragte der Arzt, als er sich bereits zum Gehen wandte.
    »Arnolfo Carracci«, erwiderte Juliette hastig.
    »Sind Sie verwandt?«
    »Nein. Er ist ein flüchtiger Bekannter. Signore Carracci hat nur einen Verwandten. Einen Neffen, Baldassare Cornaro, Via Sale 171. – Wo bringen Sie ihn hin?«
    »Ospedale Santo Spirito!« rief der Notarzt zurück. Dann waren die Männer verschwunden.
    Juliette ließ sich auf der Grabmauer nieder, auf der kurz zuvor noch Arnolfo gesessen hatte. Bedrückt starrte sie ins Leere.
    Als Brodka sich zu ihr gesellte, legte sie, Schutz und Wärme suchend, ihre Hand auf seinen Schenkel.
    »Manchmal«, sagte Brodka mit müder Stimme, »habe ich den Eindruck, die ganze Welt hat sich gegen uns verschworen.«
    Ohne auf Brodkas Bemerkung einzugehen, meinte Juliette: »Es war wohl die Aufregung. Ob er durchkommt?«
    »Hoffen wir's. Ich wünsche es ihm von Herzen – und uns natürlich auch.«
    »Hat er noch etwas gesagt?«
    »Nein, aber ich hatte den Eindruck, als wollte er mir noch irgend etwas mitteilen. Es war schrecklich, wie der arme Kerl sich abgemüht hat. Dann hob er plötzlich den Arm«, Brodka ahmte die Bewegung nach, »und hat in diese Richtung gewiesen, als wollte er mir irgend etwas zeigen, aber …« Brodka verstummte abrupt und starrte nach vorn.
    Juliette, die ihn fragend anblickte, erschrak: Brodka war kreidebleich. Es schien, als sei alles Blut aus seinem Gesicht gewichen. Juliette faßte ihn an den Oberarmen, schüttelte ihn. »Brodka? Brodka!«
    Apathisch ließ Brodka es geschehen, den Blick starr nach vorn gerichtet. Erst als Juliette ihm mit der Rechten kräftig auf die Wange schlug, kam er wieder zu sich. Er starrte Juliette an, als hätte er eine Fremde vor sich; dann wies er auf das Grab gegenüber und sagte nur: »Da!«
    Juliette begriff nicht. Es war ein frisches Grab mit einem schlichten, modernen Grabstein, eine Ausnahme auf diesem Friedhof, auf dem fast alle Gräber mehr als hundert Jahre alt waren. Auch der reiche Blumenschmuck unterschied diese Begräbnisstätte von den anderen.
    »Was ist denn, Brodka?«
    »Die Inschrift auf dem Grabstein!«
    Juliette betrachtete den Stein. › C.B. 13. Januar 1932 – 21. November 1998‹, war darauf eingemeißelt.
    »Das sind die Lebensdaten meiner Mutter, Juliette! ›C. B.‹ steht für ›Claire Brodka‹!«
    Unsinn, lag es Juliette auf der Zunge. Dir spielen wieder mal die Nerven einen Streich. Daß Geburts- und Sterbedatum übereinstimmen, ist ein Zufall, nichts weiter, was auch für die Namensinitialen gilt. Dann aber dachte sie intensiver darüber nach und wurde mehr und mehr von Zweifeln erfüllt. Zufall? Nein, einen solchen Zufall konnte es nicht geben.
    »Das war es, worauf Arnolfo mich aufmerksam machen wollte«, sagte Brodka aufgeregt. »Das war der Grund, warum er uns ausgerechnet hierher bestellt hat.« Er blickte Juliette an und fuhr beinahe im Flüsterton fort: »Juliette, sag mir, daß ich nicht verrückt bin. Lies vor, was auf diesem Grabstein steht. Lies es vor, damit ich es mit eigenen Ohren höre.«
    »Du tust mir weh«, protestiere Juliette, so fest hielt Brodka ihren Arm.
    »Bitte, lies es vor«, wiederholte er flüsternd.
    Sie las die Inschrift auf dem Grabstein.
    Brodka nickte bei jedem ihrer Worte. Dann ließ er sich schwerfällig wie ein alter Mann auf der Mauer nieder, auf der kurz zuvor noch Arnolfo gesessen

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