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Purpurschatten

Purpurschatten

Titel: Purpurschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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hatte.
    »Juliette«, sagte er leise. »Du mußt mir helfen, aus diesem Labyrinth herauszufinden.«

K APITEL 8
    Wie jeden Dienstag, außer in der Karwoche oder wenn ein hohes Kirchenfest auf diesen Tag fiel, verließ Alberto Fasolino sein Haus in der Via Banco Santo Spirito, um sich zur nahen Kirche San Giovanni zu begeben, wo der Kirchenchor sich zur Gesangsprobe versammelte. Wenngleich Fasolino alles andere als ein begabter Sänger war, hatte seine Teilnahme an diesem wöchentlichen Ereignis einen praktischen Grund. Es war keineswegs die jedem Römer angeborene Frömmigkeit, die ihn zum Besuch der Chorproben bewegte; vielmehr kam er dem Wunsch seiner Frau Anastasia nach. Und die hatte gute Gründe, daß sie Alberto dienstags aus dem Haus haben wollte.
    Kaum hatte Fasolino das Haus verlassen, näherte sich vom Corso Vittorio Emanuele der dunkle Volvo Kardinal Smolenskis. Seine Eminenz höchstselbst saß am Steuer. Smolenski trug einen zivilen schwarzen Anzug, so daß jene, die ihn nur in seinem Purpur oder klerikalen Prunkgewändern kannten – und das waren die meisten –, ahnungslos an ihm vorbeischauten.
    Aus welchem Grund der Kardinalstaatssekretär, wie übrigens die meisten Mitglieder der Kurie, sich einer Limousine aus einem Land bediente, in dem man eher einen Trüffel als einen Katholiken findet, blieb sein Geheimnis. Jedenfalls parkte Smolenski sein protestantisches Gefährt einen Straßenzug weiter, damit kein Verdacht aufkam, und ging dann mit einem Aktenkoffer in der Linken die paar Schritte zurück bis zum Haus Fasolinos, wo er sich durch ein dreimaliges Klingelzeichen bemerkbar machte.
    Wer Smolenski vor der Tür stehen sah, hätte ihn für alles mögliche halten können, nur nicht für den Kardinalstaatssekretär, den zweithöchsten Mann im Vatikan. Smolenski war ein Mensch mit zwei Gesichtern; genaugenommen hatte er sogar drei, und jedes dieser Gesichter führte ein eigenes Leben, geschützt durch eine Mauer des Schweigens.
    Niemand konnte dem unscheinbaren Mann vor der Tür ansehen, welche Macht von ihm ausging. Smolenski war gerade mal eins sechzig groß, also von jener Gnomenhaftigkeit, die Männer zu gefährlichen Ungeheuern machen kann, wie die Geschichte lehrt. Seine gewohnte Miene besaß etwas Raubvogelhaftes, doch konnte er diese Physiognomie in Sekundenschnelle verwandeln und scheinbare Güte und Freundlichkeit ausstrahlen, als wäre er einer von den 140 Heiligen auf den Kolonnaden von St. Peter.
    Über die natürliche Farbe seines schütteren Haares stellten selbst die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung nur Vermutungen an, denn Smolenski hatte sein Haar – wie auch seine Augenbrauen – pechschwarz gefärbt und straff nach hinten gekämmt, was seine hohe Stirn noch höher erscheinen ließ und ihm – durchaus erwünscht – etwas Professorales verlieh. Sein Blick aus den dunklen Augen war stechend und vermochte sein Gegenüber zu durchbohren.
    Aus Gewohnheit rauchte Smolenski daumendicke billige Zigarren und pflegte die kalten Stumpen oft tagelang zwischen den Lippen zu halten. Was seine persönlichen Dinge betraf, war Smolenskis Sparsamkeit geradezu krankhaft; selbst der Aktenkoffer, den er ständig mit sich führte, hatte mit dieser neurotischen Sparsucht zu tun: Er enthielt unter anderem ein Säckchen mit Metallplättchen verschiedener Größe, mit denen der Kardinalstaatssekretär mit Vorliebe Parkuhren, Telefone und die verschiedensten Automaten fütterte, was ihm jedesmal eine tiefe Befriedigung verschaffte.
    Nach außen hin schien Smolenskis Luxus sich auf seinen wuchtigen Kardinalsring am rechten Ringfinger zu beschränken, was aber in doppelter Hinsicht ein Trugschluß war; denn zum einen frönte der Kardinalstaatssekretär durchaus dem schnöden Prunk, zum anderen waren der Rubin und die Brillanten, die den Kardinalsring zierten, lediglich die Nachbildungen kostbarer Steine, die zu Beginn der neunziger Jahre bei Sotheby's für eine Viertelmillion Pfund versteigert worden waren.
    Viktor Smolenski war an Lichtmeß des Jahres 1920 als neuntes Kind einer Bauernfamilie in einem kleinen, ärmlichen Dorf geboren worden, was vermutlich der Grund für seine krankhafte Sparsamkeit war. Der einzige Reichtum des Dorfes bestand aus einer Kirche und einem Ackergaul, der auf unerklärliche Weise den Krieg überlebt hatte, was die Bewohner als Wunder betrachteten.
    Smolenskis Vater hingegen war eines Tages spurlos verschwunden, und die Mutter sah nur eine Möglichkeit, ihre

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