Pusteblume
rief über die Schulter: »Das war Ihr letzter Job in dieser Stadt«, dann stand er auf der Straße. So etwas war ihm noch nie passiert. Er war so erschüttert, daß er nicht einmal richtig wütend war.
Der Werbespot hätte ihm Tausende von Pfund gebracht.
Tausende.
Abgesehen von dem Honorar selbst hätte Lorcan jedesmal, wenn der Spot lief, Tantiemen bekommen. Und Joe Roth hatte ihm den Weg dahin verbaut, ihm praktisch das Geld gestohlen. Lorcan schwor Rache, aber irgendwie fühlte er sich benommen und leer.
Wie konnte das passieren? Wieso hatte er die Situation so falsch eingeschätzt? Zugegeben, er hatte sich fürchterlich benommen, aber bisher hatte man ihm das immer zugebilligt. 1992 hatte er in Irland einen Werbespot für Waschmittel gedreht, und erst beim neunundsechzigsten Mal hatte er es richtig gemacht! Nicht ein einziges Mal wurde angedeutet, daß man jemand anders holen wollte. Das war doch das Benehmen, das man von einem Star
erwartete.
Und wie sie ihn dafür geliebt hatten!
Er hatte gedacht, daß die ganze Starmaschinerie für ihn wieder zu arbeiten anfing und er in eine neue Phase seiner Karriere trat. Er war sich so sicher gewesen, daß sein Tief vorüber war und hatte sich wie ein Star benommen. Aber er war hier nicht in Dublin am Anfang des Jahrzehnts, er war in London, und es war die Jahrtausendwende. Eine andere Welt mit ihren eigenen Gesetzen, aber keiner hatte ihn gewarnt, und jetzt war es zu spät.
Daß sein Ruhm verblaßt war, bevor er ihn überhaupt ausgekostet hatte, war unvorstellbar. Und daß es allein seine Verantwortung war, wollte ihm nicht in den Kopf. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Hause zu gehen und die Anrufe seines wütenden Agenten abzuwimmeln. Als er in seine Wohnung kam, schaffte er es gerade, sich abzuschminken, dann setzte er sich in einer Wolke der Depression auf seinen Futon. Das war der lange, dunkle Nachmittag der Seele.
Er war achtunddreißig. Natürlich sah er jünger aus, und in seinem Lebenslauf war er keinen Tag älter als dreiunddreißig, aber er kannte die Wahrheit. Ich bin fast vierzig, und ich habe in meinem Leben nichts erreicht, sinnierte er. Eine gescheiterte Ehe. Kein Geld, keine Freunde. Nicht einmal ein richtiges Bett. In meinem Alter sollte man nicht mehr auf einem blöden Futon schlafen müssen.
Vor allem hatte er kein Geld. Er durfte gar nicht an den Batzen denken, der ihm heute durch die Lappen gegangen war. Verunsichert und voller Angst suchte er nach einer Bestätigung, irgendeiner. Er mußte hören, daß er von Bedeutung war.
Die Zeit wollte nicht vergehen. Er hatte nichts zu tun und keinen, mit dem er sich treffen konnte. Plötzlich fiel ihm Amy ein. Mit Schrecken stellte er fest, daß sie ihn seit – er zählte nach – seit vier Tagen nicht angerufen hatte. Vier Tage ohne fröhliche, düstere oder betrunkene Nachrichten auf seinem Anrufbeantworter. Und es war ihm gar nicht aufgefallen. Er hatte Wichtigeres zu tun gehabt. Mußte sich um seine Karriere kümmern. Doch jetzt, da er gar nichts mehr hatte, schien ihm Amy äußerst wichtig.
Hoffentlich hatte sie ihn nicht aufgegeben oder sich anderweitig getröstet. Der Gedanke versetzte ihn in Panik.
Es war Zeit, sie sich zurückzuholen.
Dann konnte er wieder häßlich zu ihr sein.
Er sah auf die Uhr. Wenn er jetzt losging, würde er rechtzeitig in Hammersmith sein, um sie von der Arbeit abzuholen. Während das Adrenalin durch seine Adern zu pulsieren begann, warf er einen Blick in den Spiegel. Sein Haar saß immer noch phantastisch – er würde es mit einer Extraportion Haarspray belohnen. Dann eilte er aus der Wohnung. Auf dem Weg
zur
U-Bahn lächelte er einer Frau zu und sah, wie sie blaß wurde. Oder bildete er sich das nur ein? War er nicht mehr so gut wie früher? Wurde es schwieriger, einen Erfolg zu landen?
Es war elf Tage her, daß Amy die Polizei zu Lorcan geschickt hatte. Elf der längsten Tage in ihrem Leben. Die reine Hölle. Sie hatte die Fassung verloren und wußte, daß ihr Leben vorüber war. Doch inmitten des Trennungsschmerzes gab es einen Trostpreis, eine seltsame Erleichterung. Lorcan war einfach zu anstrengend. Seine Spielchen hatten aus ihr eine überdrehte Zicke gemacht, und jetzt konnte sie wenigstens ein bißchen zur Ruhe kommen.
Dennoch hatte sie ihre Schwester Cindy gebeten, zu ihr zu kommen und über das Telefon zu wachen. »Versprich mir«, sagte Amy, »daß du mich nicht ans Telefon läßt, auch nicht, wenn ich sage, ich hätte mir das Bein
Weitere Kostenlose Bücher