Pusteblume
geschlafen?« fragte Katherine.
»Gab’s was Leckeres zum Frühstück?« fragte Tara. »Möchtest du ein paar Weintrauben?« fragte Sandro. »Was hat der Mann neben dir?« fragte Milo. Fintan antwortete verbittert: »Nein, ich habe nicht gut geschlafen. Nein, das Frühstück war zum Kotzen. Nein, du kannst dir deine Weintrauben sonstwohin stecken, und wenn du wissen willst, warum der Typ neben mir hier ist, dann frag ihn doch selbst.«
Alle machten ein betretenes Gesicht und versuchten zu lächeln. Dann stellten sie sich gegenseitig höfliche Fragen – wie ging es Sandro heute, hatte JaneAnn in dem fremden Bett gut geschlafen, ob es keinen Ärger geben würde, wenn Katherine und Tara nicht zur Arbeit kämen,wann standen Milo und Timothy normalerweise zu Hause
auf, gab es in Schweden Kühe?
»Oh, nein, nicht schon wieder«, protestierte Fintan laut, als er eine Krankenschwester kommen sah, die ihm das erste Blut des Tages abnehmen wollte. »Ich fühle mich wie ein Nadelkissen. Dauernd kommt jemand vorbei und steckt mir eine Nadel irgendwohin.« Er hielt den Arm für die Nadel hin, und alle schraken zurück, als sie die schwarze, violette, grüne und gelbe Färbung des Innenarms sahen. Bluterguß über Bluterguß, und ein neuer würde gleich hinzukommen.
Tara wünschte sich inbrünstig, statt Fintan die Tortur erdulden zu können, doch gleichzeitig war sie unglaublich dankbar, daß sie nicht selbst in diesem Bett lag. Noch bevor sie den Gedanken zu Ende gedacht hatte, überfluteten sie heftige Schamgefühle.
Warum empfand
sie nur so?
»Versuchen Sie doch mal, die Vene beim zehnten Mal zu treffen«, sagte Fintan sarkastisch.
»Benimm dich!« zischte JaneAnn. Es war verzeihlich, wenn er zu ihr ungezogen war, seiner alten Mutter, die sie bei seiner Geburt achtzehn Stunden lang in den Wehen gelegen hatte, lange bevor Schmerzmittel erfunden worden waren, aber diese Krankenschwester hier war eine Fremde. Nicht nur das, sie war außerdem auch noch Engländerin!
»Wir sind aber heute heiter«, sang die Krankenschwester fröhlich.
»Sie vielleicht, ich nicht!«
»Macht Ihnen die Hüfte noch Kummer?«
»Nein. Aber die Diagnose macht mir Kummer«, erwiderte Fintan.
Tara beugte sich vor und drückte seine Hand. Kein Wunder, daß er so empfindlich war.
Den ganzen Tag war seine Stimmung raschen und unvorhersehbaren Schwankungen unterworfen. Weniger als eine Stunde nach seiner unfreundlichen Begrüßung hatte sich seine Laune gebessert, so daß auch allen anderen etwas leichter ums Herz wurde. Das ging sogar soweit, daß eine Art Party-Stimmung um das Bett herum entstand und die Schwester sie bitten mußte, leiser zu sein, damit die anderen Patienten nicht gestört würden. Zwischendurch wurde jedem Besucher bewußt, wie unangemessen ihre Ausgelassenheit war. Dann hatten sie Schuldgefühle, weil sie nicht traurig waren. Bis ohne ersichtlichen Grund die Fröhlichkeit wieder Überhand
nahm. Doch auch wenn jeder einzelne den Kummer zeitweilig vergessen konnte, wich die Angst doch nie von der Gruppe als ganzer. Katherine bemerkte, daß sie sich wie eine Welle im Fußballstadion von einem zum anderen fortsetzte. Während die ganze Zeit eine lebhafte Unterhaltung stattfand, saß plötzlich einer im Raum still und in sich versunken auf seinem Stuhl.
Warum bin ich
eigentlich hier? Weil Fintan krank ist? Weil er sterben
kann? Aber das ist doch Unsinn!
Dann stieg trotz der traurigen Gedanken das Gefühl der Hoffnung auf –
es wird alles wieder gut –,
und das Entsetzen wanderte weiter zum nächsten.
Um elf schaltete Fintan den kleinen Fernseher neben seinem Bett ein. »Gleich kommt die Wiederholung von
Supermarket Sweep.
Hat einer was dagegen, wenn ich das anmache?«
»Natürlich nicht«, sagten sie. Keiner wollte ihm den Wunsch abschlagen. Aber in kürzester Zeit – so sehr schwankte das Realitätsempfinden – hatten alle das Gefühl, als würden sie im Wohnzimmer von einem von ihnen beim Fernsehen zusammensitzen.
JaneAnn verlor sich ganz in dem Geschehen. »Da ist es doch, da ist es«, rief sie, die Hände zu Fäusten geballt, als einer der Teilnehmer zum dritten Mal an dem Lenor
vorbeilief. »Bist du denn blind? Da ist es doch!« Sie war aufgesprungen und klopfte an die Mattscheibe, als ihr plötzlich bewußt wurde, wo sie war, und sich wieder hinsetzte. »Zu Hause können wir die Sendung nicht sehen«, murmelte sie, als eine Krankenschwester sie verdutzt ansah.
Gegen Mittag waren die meisten zur Arbeit
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