Pusteblume
denn nicht?«
»Man hat keine ruhige Minute«, sagte Lorcan, aber das war gelogen. Er hatte kein Geld für ein Mobiltelefon.
Nachdem er über einen Berg von orangefarbenen Kabeln gestiegen war, um den wichtigen Leuten von der Werbeagentur und der Butterindustrie die Hand zu schütteln, wurde er zur Maskenbildnerin geführt. Ein junges Mädchen mit Kamm und Haarspray kam auf ihn zu, aber Lorcan packte sie am Arm. »Das Haar wird nicht angerührt«, sagte er knapp.
»Aber…«
»Keiner geht an mein Haar, wenn ich es nicht gestatte.«
Lorcan behandelte sein Haar, als wäre es ein preisgekröntes Haustier. Er pflegte es und verwöhnte es, gab ihm kleine Köstlichkeiten, wenn es sich gut betragen hatte, und erlaubte Fremden nur widerwillig, es zu berühren.
Dann war es Zeit für die Garderobe. Nachdem Lorcan sich unzählige Male umgezogen und die Berge von Kleidern, die die beiden Garderobe-Frauen angeschleppt hatten, anprobiert hatte, mußten sie zugeben, daß Lorcan in seinen eigenen Sachen – einer verblichenen Jeans und einem türkisfarbenen Seidenhemd, das seinen Augen einen violetten Schimmer verlieh – am berückendsten aussah.
»Meinetwegen, behalten Sie sie an.« Mandii gab sich geschlagen.
»Aber das Hemd muß gebügelt werden«, warf Vanessa schnell ein. Sie wollte ihn unbedingt noch einmal in Socken und Unterhose vor sich haben. Noch nie hatte sie einen so gutaussehenden Mann gesehen: lange, muskulöse Beine, eine schmale Taille, der breite Rücken, die harte Brust. Und die Haut so glatt und fest und golden, daß man kaum an sich halten konnte.
Endlich, zwei Stunden nach seiner Ankunft, war Lorcan fast fertig. Um sein Erscheinungsbild perfekt zu machen, strich er sich das Haar aus der gewölbten Stirn. Die Hand, in der die Friseuse den Kamm hielt, zuckte unwillkürlich.
»Werths Butter, die erste«, rief der Regisseur. Die Klappe ging zu, und der Kameramann fing an zu drehen.
Inmitten der riesigen Halle war ein Wohnzimmer aufgebaut worden, das wie eine mit Teppich ausgelegte, von Scheinwerfern beschienene Insel wirkte. Der Spot begann damit, daß Lorcan seinen langen, kraftvollen Körper in ein dunkellila Samtsofa sinken ließ, den linken Fuß auf das rechte Knie gelegt, ein Teller mit Toast auf dem Schoß. Die Kamera fuhr über ihn hinweg, und laut Drehbuch sollte er aufsehen, eine Augenbraue heben, lächeln und sagen: »Echte Butter?« Dann sollte er einen Bissen von dem knusperigen Toast nehmen und eine gehaltvolle, sexy Pause machen. Um dann mit einem intimen, lockenden Lächeln zu sagen: »Weil ich es wert bin.«
Beim Vorsprechen war er hervorragend gewesen. Umwerfend. Gäbe es einen Oscar für ButterWürdigung, Lorcan hätte ihn auf der Stelle bekommen. Die Leute, die beim Vorsprechen anwesend waren, konnten ja nicht wissen, daß er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte und echter Hunger seiner Vorstellung Glaubwürdigkeit verliehen hatte.
Aber jetzt lagen die Dinge anders. Er hatte eine Rolle in einem richtigen Theaterstück, er war ein ernstzunehmender Schauspieler, und darüber sollten keine Zweifel bestehen. Deshalb übertrieb er maßlos und spielte seinen Part wie in einem Shakespeare-Stück.
»Action. Und Lorcan…«
Unter vollem Einsatz seines Zwerchfells ließ Lorcan seine Stimme so anschwellen, daß man ihn in der letzten Reihe hören konnte, und sagte: »Echte Butter?«, als wäre es der Anfang von Hamlets Monolog.
Die Mitglieder der Crew, die am Rande standen, zuckten zusammen, und der Kameramann ertaubte beinahe. Es hätte keinen überrascht, wenn Lorcan fortgefahren wäre: »Echte Butter? Das ist hier die Frage: Ob’s edler im Gemüt, die Pfeil’ und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden…«.
»Schnitt«, rief Mikhail, der Regisseur. »Okay. Fangen wir noch mal an, und diesmal ein bißchen leiser, bitte.«
Als die Kameras gerade zu drehen anfingen, brüllte Lorcan: »Moment mal. Ist das wirklich Butter auf dem Toast?«
»Ja«, bestätigte Melissa, die für die Zubereitung des Toasts zuständig war.
»Pfui Teufel«, beschwerte sich Lorcan und warf den Teller mit einer theatralischen Geste aufs Sofa. »Pfui Teufel. Wollt ihr mich umbringen? Das Zeug verstopft einem die Arterien!«
Mr. Jackson von der Butterindustrie war entgeistert.
»Bringt mir fettarme Margarine«, befahl Lorcan. Während also Melissa zum nächsten Lebensmittelladen rannte, versuchte Jeremy, der Casting-Agent, Mr. Jackson zu beschwichtigen und ihm zu versichern, daß es niemandem
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