Pusteblume
versicherten, daß sich alles zum Guten wenden würde.
»Wie fandet ihr ihn heute?« fragte JaneAnn besorgt. »Wenn er nämlich den Krebs nur in den Lymphdrüsen hat, dann sind wir ja fein raus. Ich habe gelesen, daß die Behandlung leicht ist und die Erfolgsrate hoch. Und, wie fandet ihr ihn?«
»Ein bißchen erschöpft«, sagte Sandro.
»Ein bißchen erschöpft? Ja, stimmt, er wirkte etwas müde, aber wir sind alle mal müde. Und ist es nicht ein gutes Zeichen, daß er zwischendurch immer wieder schläft? Schlaf hat doch eine große heilende Wirkung.«
»Und mittags hat er sein Essen gegessen«, sagte Timothy.
»Und es macht nichts, daß er kein Abendessen haben wollte, oder?« sagte Milo.
»Schließlich haben wir alle mal einen Tag, an dem wir nichts essen mögen«, fügte JaneAnn hinzu.
»Außerdem hat er so gegen sechs ein Smartie gegessen«, sagte Liv tapfer.
»Zwei sogar«, sagte Sandro triumphierend. »Ein blaues und ein gelbes.«
»Und er war fast den ganzen Tag über in guter Verfassung.«
»Außer, daß er böse wurde und uns weggeschickt hat und das F-Wort benutzt hat«, meinte JaneAnn mit betrübter Miene.
»Zu der Sozialarbeiterin war er nicht gerade nett«, sagte Timothy. »Aber wen wundert das. Sie hat ihm ziemlich neugierige Fragen gestellt, und dabei kannte sie ihn gar nicht. Wie es ihm ginge, ob er wütend sei oder ob er Angst habe. Wenn er nicht gesagt hätte, sie solle ihn in Ruhe lassen, dann hätte ich es getan.«
Das war die längste Ansprache, die Timothy je gehalten hatte.
»Es ist doch gut, wenn Fintan schlechte Laune hat«, fand Milo. »Würden wir uns nicht viel mehr Sorgen machen, wenn er sich engelhaft benehmen würde? Das wäre ja nicht normal.«
»Und vielleicht heitern die anderen Besucher ihn ja auf.« JaneAnn war gerührt gewesen, als gegen sieben nacheinander Frederick, Geraint, Javier, Butch, Harry, Didier, Neville und Geoff eingetroffen waren und zwei Kilo Weintrauben, drei Bücher, zwölf Zeitschriften, zwei Barbie-Lutscher, zwei Tüten mit Hulahoops, vier Aprikosentörtchen von Maison Bertaux, fünf Literflaschen Mineralwasser, eine Flasche Limonade von Marks & Spencer und ein Überraschungsei für ihn brachten.
»Und ist es nicht wunderbar, daß er so viel Besuch hat? Nicht viele Kranke haben das Glück, daß sich acht junge Männer um ihr Krankenbett versammeln«, sagte JaneAnn stolz. »Und wie nett sie alle aussahen!«
»Sehr nett, das ist wahr«, stimmte Milo ihr zu.
»Nur so laut«, seufzte JaneAnn. »In meinem Kopf war ein einziges Gesumm … Meint ihr nicht, die Schwellung ist ein wenig zurückgegangen?«
»Ja, jetzt, wo Sie es erwähnen, ich glaube schon«, log Tara.
»Er sah jedenfalls nicht aus wie jemand, der im Sterben liegt, oder?« fragte JaneAnn fröhlich.
»Im Sterben? Überhaupt nicht!« sagten alle spöttisch. »Einer, der stirbt, wäre wohl kaum so schlecht gelaunt.«
Alles, was sie an Fintan beobachtet hatten – ob gut oder schlecht oder gleichbleibend –, wurde in etwas Positives verwandelt und zur Unterstützung ihrer Version der Geschichte, der Version, in der er wieder gesund werden würde, benutzt.
Aber JaneAnn war nicht so leicht zu überzeugen, denn mitten in dieser Übung des positiven Denkens brach sie in Tränen aus und sagte: »Ich wünschte,
ich
wäre krank und nicht er. Ihn so zu sehen, so krank und schwach. Er ist zu jung, aber ich stehe schon mit einem Fuß im Grab, und mit dem anderen auf einer Bananenschale. Und wißt ihr was?« sagte sie wütend. »Ich bin an allem schuld. Ich hätte ihn nie nach England lassen dürfen. Die anderen vier sind zu Hause geblieben, und von denen hat keiner Krebs bekommen.«
Als die anderen versuchten sie zu trösten, kam der Pizzafahrer. Und als man JaneAnn erklärte, daß sie die Pizza so essen solle, ohne Kartoffeln und Gemüse, war sie noch unglücklicher. »Ist das euer Ernst?« fragte sie. »Aber das ist doch kein richtiges Abendessen! Kein Wunder, daß Fintan krank geworden ist, wenn er abends nichts anderes zu essen bekommen hat. Wenn er von seiner Mutter gekochtes Essen bekommen hätte, wäre das alles verhindert worden.«
Später schlug JaneAnn einen geschäftsmäßigen Ton an. »Ihr zwei Mädels, mit euch habe ich was zu besprechen«, sagte sie. »Ihr habt gute und wichtige Arbeitsstellen, und ich würde meines Lebens nicht mehr froh, wenn ihr sie verlieren würdet, weil ihr euch die ganze Zeit um uns kümmert. Ihr braucht uns nicht rumzufahren, wir können doch eure U-Bahn
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