Pusteblume
Gelegenheit, als Zweitbesetzung in der Rolle des Hamlet einzuspringen und ein Feuer auf der Bühne zu entfachen, war ihm verwehrt gewesen. Seine Gebete, daß Frasier Tippett sich das Genick brechen oder Meningitis bekommen würde, waren nicht erhört worden. Was war das für ein Gott? zürnte Lorcan. Was für eine kranke Welt hatte er eingerichtet? Gab es denn keine Gerechtigkeit?
Um sein Selbstbewußtsein aufzumöbeln, hielt er sich immer wieder vor Augen, daß Frauen ihn unwiderstehlich fanden, und spielte seine Macht über sie aus. Doch als er sich von Adriennes Wohnung entfernte, spürte er keinen Triumph. Eher eine milde Form des Widerwillens. Gegen Adrienne? Wen sonst? Aber er merkte, daß seine Verachtung für Adrienne eher etwas mit Amy zu tun hatte.
Lorcan durchforschte seine unbequemen Gefühle, und schließlich hatte er es: Adrienne hätte mehr Respekt gegenüber Amy zeigen sollen. Es war nicht sehr rücksichtsvoll gewesen, als sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel gelegt und bedeutungsvoll gesagt hatte: »Ich mache hundert Sit-ups am Tag.«
Genau, fand Lorcan scheinheilig, das war Amy gegenüber nicht fair gewesen.
44
A m Samstagabend wurden Liv und Milo offiziell ein Paar. Sie machten ihre Beziehung bekannt, indem sie sagten, sie wollten zusammen in eine Spätvorstellung gehen, woraufhin Timothy begeistert reagierte. »Klasse! Ins Kino! Wir konnten uns einen Western mit Clint Eastwood ansehen.«
Es folgte ein betretenes Schweigen, dann errötete Liv und murmelte: »Es ist so, daß nur Milo und ich gehen wollen.«
JaneAnn war ganz aus dem Häuschen. »Jeder Topf findet mal einen Deckel«, war ihr Kommentar. »Ich wußte, daß er eines Tages doch noch jemanden finden würde. Milo ist ein guter Mann, aber in Knockavoy gibt es keine, die zu ihm paßt. Es heißt, daß Reisen den Horizont erweitert, nicht wahr? Er hat eine gute Frau verdient. Besonders«, sagte sie und mußte die Tränen zurückhalten, »nach der bösen Enttäuschung mit Eleanor Devine. Ich habe ihn gewarnt. Ich habe gesagt, denen kann man nicht trauen, denen aus Quinard. Ich kenne sie, die ganze Sippe, seit Generationen. Die würden einem sogar eine Kuh stehlen und es den armen Landstreichern anhängen. Aber jeder muß seine Fehler machen.« Ihr Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an. »Liv wird es in Knockavoy gefallen.«
Tara und Katherine wechselten erstaunte Blicke: JaneAnn hatte schon den ehelichen Bund zwischen den beiden geschlossen.
»Es ist ein besonderes Glück, daß sie eine gute Katholikin ist«, sagte JaneAnn. Liv war allerdings auch Buddhistin, Hindu, Sikh, Jüdin und Atheistin, wenn es ihr genehm war, aber keiner klärte JaneAnn darüber auf.
»Meinen Sie nicht, daß es ihr schwerfallen wird, so weit weg von zu Hause zu sein?« fragte Tara aus einem Pflichtgefühl heraus.
»Aber sie ist auch jetzt so weit von zu Hause weg«, sagte JaneAnn, und die Logik war unbestreitbar.
»Und was ist mit ihrer Arbeit?«
»Milo hat mehr als genug zu tun. Da wird sie nie untätig sein müssen.«
»Vielleicht zieht Milo auch nach London«, sagte Katherine.
JaneAnn brach in helles Gelächter aus. Sie lachte und hörte gar nicht wieder auf. »Sei vernünftig, Kind«, sagte sie und trocknete sich die Tränen. »Sei doch mal vernünftig. Er mit seinem schönen Hof. Nach London ziehen, ich bitte dich!«
»Warum tut er mir das an, o weises Wesen?« fragte Tara Liv. »Oh, du meine schwedische Anna Raeburn, sag mir, warum er mein Leben zerstören will? Er ist angeblich mein Freund.« Es war Sonntagnachmittag, und Tara, Katherine und Liv waren aus dem Krankenhaus in einen Pub geflohen.
Das Problem war nämlich, daß Fintan auf seinen unorthodoxen Forderungen bestanden hatte. Und um alles noch viel schlimmer zu machen, hatte er Sandro und seiner eigenen Familie davon erzählt.
JaneAnn hatte Tara und Katherine entsetzt angesehen. »Mädchen«, hatte sie gestammelt, »ihr müßt tun, worum er euch bittet! Wie könntet ihr mit reinem Gewissen weiterleben?«
Tara und Katherine sahen sich in der Runde um, suchten einen Verbündeten, aber sie sahen nur Milo, Timothy, Sandro, Liv und natürlich JaneAnn, und alle sahen sie an, als hätten sie zwei Mörderinnen vor sich.
»Fintan ist sich seiner eigenen Sterblichkeit bewußt«, erklärte Liv und zitierte direkt aus
Gut getrauert,
ihrem Buch der Woche. »Weil die Zeit knapp wird, erscheint sie plötzlich sehr kostbar. Nicht nur seine Zeit, sondern die von allen anderen auch.«
Alle drei
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