Pusteblume
ausgesprochen hatte, dachte sie zur eigenen Rechtfertigung. Alles, was sie gesagt hatte, entsprach der Wahrheit. Gott, dachte sie, ich werde noch wie Thomas.
Immer frei von der Leber weg.
Vier Tage waren vergangen, seit Katherine und Tara ihren schrecklichen Streit hatten, und obwohl sich beide mit Liv wieder versöhnt hatten, waren sie miteinander immer noch zerstritten. Den O’Gradys zuliebe sprachen sie mit kühler Höflichkeit miteinander.
Obwohl Katherine wußte, daß es lächerlich war zu behaupten, die Art, wie sie ihr Leben gestaltete, habe auf die Krebserkrankung eines anderen einen Einfluß, war es so wie mit dem Dreck: Wenn man nur genug davon warf, blieb doch etwas hängen. Die Vorstellung, daß die O’Gradys, Sandro und Liv sie argwöhnisch musterten, verfolgte sie. Mit jedem Tag, der verging, wurde sie paranoider. Sie hatte zunächst das Gefühl, daß die Krankenschwestern sie mißbilligend ansahen, dann die anderen Patienten, die Fremden auf der Straße…
Was das Ganze noch verwirrender machte, war ihre übermächtige Liebe für Fintan. Immer wieder mußte sie daran denken, wie er vor der Krankheit war – strotzend vor Energie, kräftig wie ein junges Tier, mit glatter Haut, dichtem Haar und glänzenden Augen. Und jetzt – das eingesunkene Gesicht, die teilnahmslosen Augen, die paar Büschel Haare, die Schwellung am Hals – die Möglichkeit, daß er vielleicht nie wieder gesund würde! Und in diesen Augenblicken des bodenlosen Entsetzens und der unerträglichen Trauer war sie bereit, alles für ihn zu tun. Alles!
Manchmal, aber seltener, konnte sie sich vorstellen, wie es sein würde, nur noch sechs Monate zu leben zu haben, und dann war sie auch aufrichtig der Meinung, daß man aus jedem Tag das meiste machen mußte. Dann wurde sie von einer prickelnden Lebensfreude mitgerissen, und alles schien so wunderbar einfach und freudvoll. Natürlich würde sie sich alle Mühe mit Joe Roth geben!
Doch der Augenblick verging, und dann landete Katherine mit einem dumpfen Aufprall wieder in der Normalität. Und hatte Unmögliches zu bewältigen, was ihr noch fünf Minuten zuvor wie das Leichteste auf der Welt vorgekommen war.
Dann wandelte sich ihre Stimmung wieder, und sie sah Fintans Aufforderung aus einem noch anderen Blickwinkel. Fintan war ihr Freund. Er wollte das Beste für sie, sie würde ihm also vertrauen können, oder? Oder?
Ein paar Augenblicke konnte sie sich davon überzeugen, dann verpuffte auch dieses Gefühl.
Alle Stimmen in Katherines Kopf wurden lauter und beharrlicher. Alle – manchmal sogar sie selbst – drängten sie in Richtung Joe Roth, und sie wußte, sie würde keine ruhige Minute haben, wenn sie es nicht wenigstens versuchte.
Weil sie von Natur aus zaghaft war, vergingen Tage, in denen sie die Sache hin und her wälzte und ihr ein Versuch völlig absurd, dann regelrecht wünschenswert und wieder komplett hirnrissig erschien, bevor sie eine Entscheidung traf.
Letzten Endes schien es leichter, den Versuch zu wagen, als es sein zu lassen, weil so viele Schuldgefühle, so viel Druck und Angst, so viele Gewissensbisse damit einhergingen. Und es gab noch einen anderen Faktor. Unter all den anderen Gefühlen vergraben lag ein anderes, das sie selbst unter Folter nicht gestanden hätte: Sie wollte Joe Roth. In gewisser Weise, auf beschämende Art, war Fintans Aufforderung eine willkommene Ausrede.
Am Donnerstagmorgen kam es ihr vor, als zöge sie in eine Schlacht. Sie nahm allen Mut zusammen und trug einen kurzen schwarzen Lycra-Schlauchrock zur Arbeit. Ihr kam es vor, als wäre sie nackt, und obwohl sie einen Mantel trug, der alles verhüllte, fiel es ihr schwer, die Wohnung zu verlassen. Sie war überzeugt, daß jeder Mann bei Breen Helmsford sie anstarren und sofort erahnen würde, was sie vorhatte.
Natürlich wußte sie, daß ihre Auffassung von eng und kurz eher von klösterlicher Gediegenheit war, verglichen mit den winzigen Drapierungen, mit denen manche Kolleginnen kaum den Po bedeckten, aber alle diese Dinge sind relativ.
Auf dem Weg ins Büro betete sie, daß Joe nicht da sein möge. Irgendwo zu Dreharbeiten oder krank oder tot. Doch als sie zur Tür hereinkam, war er der erste, den sie sah. Er lehnte entspannt in seinem Stuhl – seine Haut, seine Wangenknochen, seine lange, schlaksige Gestalt. Lähmender Schrecken überfiel sie. Wie konnte sie mit ihm flirten? Sie war viel zu scharf auf ihn. Sofort gab sie alle ihre Pläne auf. Sie würde gar nichts machen und
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