Pusteblume
fand Katherine ihre Stimme wieder. »Bei mir liegt er richtig?« empörte sie sich. »Bei mir? Du bist
zu
blöd! Ich wollte ja nichts sagen, aber jetzt sag ich es trotzdem. Fintan hat nur dein Bestes im Sinn. Und du weißt ganz genau, daß du Thomas verlassen solltest, deswegen bist du so böse auf Fintan –«
»Das ist überhaupt nicht wahr –«
»Und du redest davon, daß mein Leben daneben ist! Was ist mit deinem?« fragte Katherine, und ihr Gesicht war dunkelrot angelaufen. »Du bleibst lieber bei einem, der so furchtbar ist wie Thomas, statt allein zu leben. Das ist so was von erbärmlich. Und guck dich doch mal an, wie fett du geworden bist!«
Tara zuckte zusammen, und innerlich zuckte auch Katherine zusammen, aber dann sprudelte es weiter aus ihr heraus, und sie konnte sich nicht zurückhalten. »Du ißt zuviel, weil er dich unglücklich macht. Und dann hast du die Stirn zu sagen, Fintan will dein Leben zerstören, wenn ein Blinder sehen kann, daß er dir helfen will, weil er dein Freund ist.«
»Wie kann er mein Freund sein?« Die ganze Wut der vergangenen Wochen machte sich Luft. »Wo er mir sagt, ich soll den Mann, den ich liebe, verlassen?«
»Ich kann mir nichts Besseres vorstellen, als Thomas zu verlassen.« Katherine versprühte Gift und Galle. »Ich sage dir, ich würde sogar dafür bezahlen, um den Ausdruck auf seiner Fresse zu sehen, wirklich wahr.«
»Warum bist du so gemein zu ihm?« zischte Tara mit zusammengebissenen Zähnen.
»Hat er immer noch das kleine braune Portemonnaie?« fragte Katherine voller Verachtung.
»Warum sollte er es nicht mehr haben?«
»Das würde mir schon reichen.«
»Ich gehe.« Tara schnappte sich die Autoschlüssel. »Ich laß mich nicht länger beschimpfen und meinen Freund beleidigen.«
»Wie habe ich dich beschimpft?«
»Du hast mich blöd genannt.« Taras Stimme bebte. »Und hast gesagt, ich bin fett.«
»Du hast angefangen«, rief Katherine ihr nach. »Du hast über meine Unterhosen hergezogen!«
Aber Tara war verschwunden, war auf einer Welle des Hasses aus dem Pub herausgetragen worden, während Katherine zitternd am Tisch sitzen blieb. Was war nur los? In dieser schrecklichen Zeit sollten sie zusammenhalten. Warum gingen sie sich gegenseitig an die Kehle? Waren sie nicht immer beste Freundinnen gewesen?
45
J oe Roth dachte, er hätte Halluzinationen. Als er am Donnerstagmorgen zur Arbeit kam, hatte Katherine, dieselbe, die ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt hatte, ihn angelächelt. Sie hatte
gelächelt. Ihn
angelächelt. Und anscheinend steckte keine Böswilligkeit dahinter. Es diente nicht als Einleitung zu der Mitteilung, daß sie sein Spesenformular verloren habe oder daß sie angewiesen worden sei, seine Abfindung auszurechnen. Nein, sie lächelte, sah ihn aus grauen Augen freundlich an, ließ den Blick einen Bruchteil zu lang auf ihm verweilen und sagte – freundlich! -: »Guten Morgen, Joe.«
Was sollte das bedeuten? Über eine Woche war seit dem Tag vergangen, als sie vor ihm in Tränen ausgebrochen war und gesagt hatte, sie habe schlechte Nachrichten erhalten, aber unmittelbar darauf hatte sie ihr übliches distanziertes, abweisendes Verhalten wieder angenommen. Ihre Freundlichkeit traf ihn völlig unerwartet. Und als sie zu ihrem Schreibtisch ging, bemerkte er, daß an ihrer Kleidung etwas verändert war. Kürzer? Oder enger? Jedenfalls gefiel es ihm. Wenn er es nicht besser wüßte – aber er wußte es besser –, würde er denken, sie flirte mit ihm.
Als Katherine bei ihrem Schreibtisch ankam, zitterte sie. Wenn es jetzt nicht funktionierte? Wenn das einzige, was er an ihr mochte, ihre Unnahbarkeit war? Dann würde sie nur ihre Zeit verschwenden, indem sie freundlich und zugänglich war.
Es ging ihr sehr gegen den Strich, sich so zu verhalten, aber sie hatte keine Wahl. Immer mußte sie alles selbst machen. Sie bebte vor empörter Selbstgerechtigkeit. Man konnte sich auf keinen verlassen! Sie mußte immer die Rechnungen bezahlen, anderen Geld leihen, an die Geburtstage denken, die anderen nach Hause fahren, wenn sie sich die Hucke vollgesoffen hatten. Und jetzt mußte sie Fintans Leben retten. Es hatte gar keinen Zweck, darauf zu warten, daß die verantwortungslose, egoistische, feige Tara Butler auch nur einen Finger krümmen würde, um zu helfen.
Bei dem Gedanken an Tara überkamen Katherine heftige Schuldgefühle: Sie hatte das größte Tabu durchbrochen und Tara gesagt, sie sei fett. Obwohl sie ja nur eine Tatsache
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