Pusteblume
erhöht.« Tara
schöpfte Hoffnung: Das klang wissenschaftlich.
Wissenschaftlicher als das Besprühen mit Wasser und das Einwickeln in alte Bandagen. Aber der Gummianzug war überhaupt kein Gummianzug, sondern ein billiger Kunststoff-Trainingsanzug, den ein zehnjähriges Mädchen tragen würde, wenn es auf eine Ladendiebstahltour geht. Tara hätte weinen mögen. Adrienne behauptete, der Entfettungsprozeß brauche ungefähr eine Stunde, um in Gang zu kommen. Sie ließ Tara auf dem Tisch in dem kahlen, kleinen Raum liegen.
Durch die dünnen Trennwände hörte Tara das rhythmische Ratschen der Wachsstreifen, mit denen anderen Kundinnen die Beine enthaart wurden, und hatte
nicht einmal eine Zeitschrift, um sich von ihrem unwürdigen Zustand abzulenken. Irgendwann döste sie ein – und wachte plötzlich von ihrem eigenen Gestank wieder auf.
Es wurde noch schlimmer. Nach einer Weile kühlten die Bandagen ab und fühlten sich in dem kalten Trainingsanzug feucht an. Das Gefühl von nasser, klammer Unterwäsche erinnerte sie an ihre erste Vorschulzeit, wo sie als Vierjährige manchmal in die Hose gemacht hatte, aber sich nichts anmerken lassen wollte.
Nach einer Stunde kam Adrienne zurück, nahm den Trainingsanzug wieder an sich, wickelte die Bandagen ab und maß Tara erneut. Diesmal zog sie das Maßband fest, als wollte sie die Gefäße abbinden. »Oh, ja«, sagte sie immer wieder und quetschte Tara die Blutzufuhr ab.
»Viel weniger.« Nachdem sie alles zusammengezählt hatte, sagte sie: »Zweiundzwanzig Zentimeter. Es sind zweiundzwanzig Zentimeter weniger.«
»Na klar«, flüsterte Tara. Sie war vielleicht fett, aber sie war nicht dumm. »Wo sind die Duschen?«
»Es gibt keine«, antwortete Adrienne.
»Aber ich bin eingesaut!« Die Schlammpackung war auf ihrer Haut getrocknet und platzte bei jeder Bewegung in kleinen Bröckchen ab.
»Ehm … der Schlamm hat noch vierundzwanzig Stunden lang entgiftende Wirkung«, erklärte Adrienne.
Ach ja?
drückte Taras Miene aus.
Und das hat nicht
zufällig damit zu tun, daß das warme Wasser nicht
f
unktioniert?
Nachdem sie für die Erfahrung vierzig Pfund hingeblättert hatte, wollte sie den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen. Also ließ sie den Schlamm soweit wie möglich dran, als sie sich anzog. Natürlich gab sie Adrienne ein üppiges Trinkgeld, weil sie sich aufgrund ihres Übergewichts Adrienne gegenüber unterlegen fühlte. Dann ging sie, ihre Moral und ihre Hoffnungen am Boden zerstört.
Als sie wieder ins Büro kam, fingen die anderen mit gerümpften Nasen an zu schnüffeln.
»Was ist das für ein widerlicher Gestank?« fragte Ravi.
Tara saß ganz still, weil bei jeder Bewegung trockener Schlamm abbröckelte.
»Jemand muß Hundedreck am Schuh haben«, meinte Vinnie. »Können alle mal unter ihren Schuhen nachsehen?«
Ein großes Stühlerücken hob an, als die ganze Belegschaft sich hochstemmte und unter ihren Sohlen nachsah.
»Du auch, Tara«, sagte Ravi mit gerunzelter Stirn. Ganz langsam und vorsichtig stand Tara auf, aber es war nicht langsam und vorsichtig genug, denn sie wirbelte eine Staubwolke hoch, in der sie plötzlich vor den Blicken der anderen verschwand.
»Was ist denn das?« fragte Ravi. »Bist du gerade exhumiert worden?« Er trat näher. »Oh, nein«, rief er theatralisch aus und hielt sich die Nase zu. »Ihr könnt die Suche einstellen« verkündete er. »Es ist Tara mit ihrer komischen Liposuction.«
»Es war keine Liposuction«, sagte Tara verärgert und richtete sich auf, worauf eine neue Staubwolke hochstob.
»Es war eine Schlammpackung. Für meine Haut!« Auf keinen Fall sollten die anderen erfahren, was sie alles anstellte, um dünner zu werden.
Mit großem Getöse schob Ravi seinen Schreibtisch von ihrem weg. »Es muß sein. Bei dem Gestank kann ich mich nicht konzentrieren«, behauptete er.
Schließlich wurde übereinstimmend beschlossen, Tara frühzeitig nach Hause zu schicken, und als sie ging, hinterließ sie eine Spur braunen Pulvers, als würde sie zu
Staub zerfallen.
»Komm erst wieder, wenn du dich gründlich abgeschrubbt hast«, befahl Vinnie ihr. Eigentlich reichten ihm seine vier Kinder daheim.
Tara ging nach Hause. Sie hätte zu Katherines Wohnung fahren sollen, um die O’Gradys abzuholen und ins Krankenhaus zu bringen, aber sie war zu deprimiert –
von dem Gestank ganz abgesehen. Allein in ihrer Geruchswolke saß sie in Thomas’ düsterer Wohnung und versuchte,
Gesundheit für Körper und Seele
von Louise
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