Pusteblume
Krankenhaus.«
»Ehm, Katherine hat ausgezeichnete Neuigkeiten für dich.« Eigentlich mußte Katherine selbst die Geschichte mit Joe Roth erzählen, aber Tara wollte unbedingt die Stimmung etwas aufheitern. »Sie hat sich gestern bei diesem Joe Roth entschuldigt.«
Ein desinteressiertes Schmollen war die Reaktion.
Sandro kam zurück und zählte stolz auf: »Es haben für dich angerufen Ethan, Frederick, Claude, Didier, Neville, Julia und Stephanie. Alle wollen dich besuchen, aber ich sage nein, sie müssen warten. Fintan ruft an, wenn er bereit ist und sich gut fühlt.«
»Und kein Anruf von Carmella Garcia mit einem Angebot, daß ich weitermachen kann?«
Sandro sah ihn erschrocken an.
»Das ist der einzige Anruf, der mich interessiert. Weißt du, was ich will?«
»Nein, was?« Sandro stand schon in den Startblöcken.
»Ich will mich vollaufen lassen.«
»Das darfst du nicht!« Tara war entsetzt. »Du bist krank. Du mußt erst wieder zu Kräften kommen.«
»Ich werde nie mehr zu Kräften kommen.«
»Aber natürlich! Du mußt positiv denken«, beharrte Tara. Das hatten die Krankenschwestern immer wieder hervorgehoben. Menschen mit einer positiven Einstellung hatten größere Chancen, gesund zu werden.
»Positiv denken?« Fintans Lachen klang freudlos. »Dazu habe ich nicht die Kraft.«
»Ich habe dir zu essen eingekauft«, sagte Sandro. »Deine Lieblingssachen. Erdbeeren? Schweinepastete? Petit Filous? Honig-Smacks? Toffee-Pops?«
»Ich will nichts essen.«
»Aber, bambino, du mußt etwas essen.«
»Aber ich will nicht«, brüllte Fintan plötzlich. »Ich habe es dir tausendmal gesagt – alles schmeckt scheußlich. Und du weißt genau, daß ich nur Rohkost essen soll!«
Sandro schluchzte auf und rannte in die Küche. Tara folgte ihm. Er stand neben einer blaßgrünen (nie benutzten) Alessi-Saftpresse über die Arbeitsfläche aus isländischem Lavagestein gebeugt und weinte sich die Augen aus.
»Alles, was ich mache, ist falsch.«
»Er ist krank. Er kann nichts dafür. Wenn du nichts getan hättest, wäre er auch böse.«
»Er ist wie verwandelt, so wütend und böse. Nicht mein Fintan.«
»Es ist alles sehr schwer für ihn«, tröstete Tara ihn.
»Aber für mich auch.«
»Komm.« Tara führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie in gespanntem Schweigen saßen und darauf warteten, daß Katherine mit JaneAnn und Timothy vom Einkaufen kommen würde.
»Ich gehe duschen. Das habe ich seit Wochen nicht getan«, verkündete Fintan.
»Aber du kannst kaum stehen.«
»Ich komme schon klar.« Er funkelte sie böse an.
Sandro und Tara blieben im Wohnzimmer und konnten nicht begreifen, wie die Freude über Fintans Entlassung sich so hatte umkehren können.
Plötzlich hörten sie ein seltsames Geräusch, wie ein schrilles Kläffen, aus dem Badezimmer. Einen Moment lang sahen sie sich entgeistert an, dann sprangen sie auf und rannten ins Bad.
Fintan hockte auf dem Badezimmerboden, triefnaß und spindeldürr. Das Geräusch kam von ihm, und in seinem Gesicht stand das helle Entsetzen.
Er sah verändert aus, fand Tara. Irgendwas sah anders aus.
Dann wurde ihr klar, was es war.
Er war kahl.
Auf seinen Schultern und seiner Brust lagen Büschel von Haaren, aber sein Kopf war kahl.
Dann folgten sie seinem Finger, der auf etwas zeigte: auf den Abfluß in der Dusche. Der Abfluß war verstopft.
Mit Haaren.
Alles voller Haare. Schwarz, dicht und naßglänzend. Sie glitzerten in Regenbogenfarben von dem Shampoo, das er nicht hatte auswaschen können, bevor die Haare sich von der Kopfhaut gelöst hatten.
»Meine Haare«, stammelte er.
Tara hätte am liebsten geweint. »Es sind deine Haare«, bestätigte sie.
»Ich bin kahl.«
»Es wächst wieder, wenn es dir bessergeht.« Sandros Stimme zitterte.
»Sie haben dir doch gesagt, daß das passieren würde, oder?« fragte Tara sanft.
»Ja, aber ich habe nicht geglaubt, daß es mir passieren würde … ich meine, ich dachte nicht, da es so passieren würde … alle meine Haare«, stammelte er. »Guckt doch. Es ist wie in einem Horrorfilm.«
»Komm.« Sandro zog ein flauschiges Handtuch von der Stange und begann, Fintan abzutrocknen, wie eine Mutter ihr Kind. Seine Hände, seine Arme, seine Brust.
»Fuß hoch«, sagte Sandro, hockte sich hin und rieb die Zwischenräume zwischen Fintans Zehen trocken. Fintan stand wacklig auf einem Bein und stützte sich an der Wand ab. »Jetzt der andere.«
Tara sammelte die Haarbüschel auf. Sie war drauf und dran loszuheulen. Das
Weitere Kostenlose Bücher