Pusteblume
des Tages bei Tara ihre Wirkung zeigte, schlug ihre Stimmung um. Sie weinte wegen Fintan, dann wegen Thomas, dann wieder wegen Fintan. »‘siso schrecklich«, schluchzte sie, »‘sis nicht zum Aushalten. Und wenn er stirbt? Sag nich, daß er nich stirbt, denn wahrscheinlich stirbt er. ‘s bricht mir noch das Herz. Viel schlimmer, als Thomas zu verlieren, viel, viel schlimmer.«
Dann sah sie Ravi flehentlich an und sagte: »Ravi, mir iss schlecht.«
»Achtung!« brüllte Ravi, als er Tara zur Damentoilette halb zog und halb trug. »Entschuldigung, die Damen«, sagte er zu dem überraschten Trio, drei Mädels aus der Gehaltsabteilung, die sich für ihr Abteilungsweihnachtsessen fein machten. »Es ist ein Notfall.«
»Das sieht man«, sagten sie und machten rasch Platz.
»So wird es uns in zwei Stunden auch gehen«, sagten sie erwartungsvoll, als sie zusahen, wie Ravi Tara das Haar aus dem Gesicht hielt, während sie sich ins Waschbecken hinein von einem Teil des Sherrys wieder trennte.
»Ich möchte nach Hause, Ravi«, sagte Tara, als sie fertig war. »Kannst du mich nach Hause bringen?«
»Klar. Bleib, wo du bist, und ich besorge ein Taxi. Paßt auf sie auf«, sagte er zu den Mädels aus der Gehaltsabteilung.
Als Ravi weg war, nahm eins der Mädchen eine Tube Zahnpasta aus der Tasche und bestand darauf, daß Tara sich den Mund ausspülte. »Laß mich in Ruhe!« sagte Tara und wedelte sie mit der Hand fort.
»Das ist doch ein Süßer«, sagte das Mädchen.
»Gar nicht Süßer, das ist Ravi.«
Doch die Mundspülung erwies sich als überflüssig, denn kaum war sie vollzogen, mußte Tara sich erneut übergeben. Und dann wieder.
Der dösige Steve kam und klopfte an die Tür der Damentoilette, als das Taxi da war.
»Mußt du noch mal … noch mal … du weißt schon, bevor wir gehen?« fragte Ravi diskret. Doch nein, Tara hatte alles von sich gegeben, vorerst wenigstens. Statt dessen flossen ihr wieder die Tränen.
Die Tür wurde aufgerissen, und herein kam Amy, gertenschlank und wunderhübsch. »Tara«, sagte sie überrascht, »was hast du denn? Warum weinst du?«
Obwohl sie sich seit Wochen nicht gesehen hatten, hatte Amy nicht vergessen, wie freundlich Tara zu ihr gewesen war, nachdem Amy die Polizei auf Lorcan gehetzt hatte.
»Mein Freund stirbt, und mit meinem Lover ist es vorbei.«
Amy erkannte die schlechte Nachricht sofort. »Oje, das ist ja schrecklich! Das mit deinem Lover, oh, du Arme, du Arme.« Dann hatte sie eine wunderbare, eine phantastische Idee. »Ich weiß was! Mein Freund hat einen richtig netten Freund. Der würde dir bestimmt gefallen. Er heißt Benjy. Wir können im Januar mal zu viert ausgehen.«
»Gute Idee«, sagte Tara mit tränenerstickter Stimme. »Findest du nicht, Ravi?«
»Großartig.«
»Solange du dich nicht in Lorcan verliebst.« Amy kicherte nervös.
»Mach ich nicht.«
Ravi führte Tara, tränenüberströmt und auf wackligen Beinen, durch den Eingangsbereich, wo sich eine Gruppe elegant gekleideter Männer aus der Gehaltsabteilung versammelt hatte, um zu ihrem Abteilungsweihnachtsessen zu gehen. Mit offenen Mündern starrten sie hinter Tara mit ihrem verquollenen Gesicht her.
»Sie hat was Schlechtes gegessen«, behauptete Ravi.
Als Ravi ihr die paar Stufen zum Ausgang herunterhalf, würgte Tara erneut.
»Warte…«, keuchte Ravi und sah sich nach einem geeigneten Behälter um. »Versuch es –«
Doch zu spät. Tara erbrach den Rest des Sherrys über das Treppengeländer. »Tut mir leid, Ravi«, sagte sie mit belegter Zunge, »‘sis eklig.«
»Mach dir nichts draus, Tara«, besänftigte Ravi sie und hoffte inständig, daß der Taxifahrer sich nicht weigern würde, sie zu befördern. »Kann das jemand wegwischen, bitte?« rief er über die Schulter, aber natürlich eilte niemand hilfsbereit herbei. Die Männer aus der Gehaltsabteilung hatten nicht die Absicht, sich ihre Anzüge mit dem Erbrochenen eines anderen zu beschmieren. Das einzige Erbrochene, das sie auf ihren Jacketts dulden würden, wäre ihr eigenes.
Wenig später kam Alvin Honeycomb, der Geschäftsführer von GK Software, aus dem Lift und eilte durch den Empfangsbereich. Groß und gutaussehend, mit silbergrauen Schläfen, rauschte er in seinem dunkelblauen Kaschmirmantel, einen Lederaktenkoffer in der Hand, an den wartenden Männern vorbei. Auch er hatte noch etwas vor. »Schönen Abend noch«, rief er mit seiner wohltönenden Stimme, als er dem Ausgang zustrebte. Er rühmte sich seines
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