Pusteblume
»Irgendwann sind wir da.«
»Was machen die eigentlich?« fragte Frank irritiert seine Frau. »Sie sitzen die ganze Zeit nur da. Als ich um halb sechs vorbeifuhr, waren sie da, und als ich um zehn wieder vorbeikam, waren sie
immer
noch da und hatten sich nicht von der Stelle gerührt.«
Fidelma seufzte. Sie wußte, wie leicht man vier Stunden damit verbringen konnte, auf einer feuchten Mauer zu sitzen, ohne zu merken, wie die Zeit verstrich, Luftschlösser zu bauen und in ihnen zu wohnen. Sie wußte noch, wie es war, jung zu sein, mit der Gewißheit, daß eine wunderbare Zukunft auf einen wartete, wie eine Blume, die jeden Moment erblühen würde. »Vielleicht genießen sie den Ausblick.«
Frank schnaubte, und damit hatte er recht. Tara, Katherine und Fintan bemerkten die Unendlichkeit von Himmel und Meer nicht, sondern sahen es nur als etwas, über das man fliehen konnte. Der einzige Ausblick, der sie interessierte, war der auf eine Horde Jungen, die an den meisten Abenden in ihre Richtung geschlendert kam. Die Kaimauer war ein lebhafter gesellschaftlicher Treffpunkt, wo sich allabendlich bis zu zwanzig junge Leuten einfanden. Feriengäste aus Limerick, Cork, Dublin, sogar aus Belfast.
Tara war erstaunt zu sehen, daß Mädchen in ihren schicken Stadtkleidern, die hier Ferien machten, auch dazukamen. Selbst als sie merkten, daß sie bei Fintan nur ihre Zeit verschwendeten, kamen sie. Aber wenigstens wagten es die Jugendlichen aus dem Dorf nicht, sich dazwischenzudrängen. Manchmal hingen die Mädchen aus ihrer Schule am Rand herum, aber als keiner sie aufforderte, dem inneren Kreis der Privilegierten beizutreten, kehrten sie enttäuscht um.
Allabendlich prickelte es in der Luft vor jugendlichen Begierden. Um die Annäherung zu erleichtern, gab es feste Werberituale. Ein Junge bekundete sein Interesse, indem er einem Mädchen ein Bein stellte oder eine Qualle nach ihm warf. Dauernd liefen die Jungen zum Strand hinunter, hoben eine Qualle auf und feuerten sie auf das Objekt ihrer Sehnsüchte.
Tara wurde öfter mit Quallen beworfen als alle anderen. Ein Zwölfjähriger bedachte Katherine mit einigen Wurfgeschossen, doch als er erfuhr, daß Katherine vierzehn war, entschuldigte er sich dafür.
Fintan wurde gar nicht beworfen.
Bis zum Einbruch der Dunkelheit, danach sah die Sache ganz anders aus.
Wenn das Mädchen, das eine Qualle abbekam, rief: »Oh, du Arsch! Wie gemein«, wußte man, daß die Gefühle erwidert wurden. Wenn sie aber davonlief und fünf Minuten später mit ihrem Vater wiederkam, auf den Jungen zeigte und sagte: »Der da, Dad. Er wollte mich umbringen«, dann erfuhr man auf diese Weise, daß man die Situation ganz falsch eingeschätzt hatte.
Eine weitere eindeutige Methode, seine amourösen Absichten anzukündigen, war die, daß man ein Bündel Seetang nahm und sagte: »Rate mal, was das ist. Deine Haare!« Auch wenn ein Junge einen alten Schlüpfer fand, den das Meer an den Strand gespült hatte, und fragte: »Ist das etwa deiner?«, dann wußte das Mädchen, daß es einen Bewunderer hatte.
Tara verbrachte den Juni und den halben Juli in ständiger aufregender Erwartung. Es war die schönste Zeit ihres Lebens. Immer wieder erklärte sie: »Ich bin verliebt«, worauf Katherine geduldig erwiderte: »Ach ja? Wer ist es denn diesmal?«
An den meisten Abenden begab sich Tara nach Sonnenuntergang in die Dünen, um mit ihrem gegenwärtigen Angehimmelten zu knutschen. Katherine wartete auf der Kaimauer und unterhielt sich schüchtern mit den anderen, die in Wartestellung waren. Sie wollte nicht mit den Jungen zum Knutschen in die Dünen gehen.
Und die waren auch an ihr nicht sonderlich interessiert. Sie war zu mager und zeigte noch keine Anzeichen von der eleganten, geheimnisvollen Frau, zu der sie sich entwickeln würde. Die Jungen sagten von ihr: »Sie ist nett«, was in der Jugendsprache bedeutete: »Sie hat keine Möpse.«
Meistens verbrachte Tara die Freitagabende mit tränenreichen Abschiedszeremonien, begleitet von dem Versprechen zu schreiben, während der Samstagmorgen jedesmal dazu genutzt wurde, die neuankommenden Autos zu sondieren, die, beladen mit Insassen und Gepäck, auf den Campingplatz einbogen. Das Leben hätte besser nicht sein können.
Aber Fintan wollte mehr für sie drei als nur die Kaimauer und die Sanddünen. Er hatte Visionen. Es war ungefähr Mitte Juli, als er Tara und Katherine mit seinem lässig vorgebrachten Vorschlag: »Laßt uns mal in die Disco gehen«, völlig
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