Pusteblume
jungenhaftem Charme leuchteten, wenn er sie sah, blieben kalt. Er nickte ihr finster zu, warf seinen Styroporbecher in den Müll und wandte sich ab.
Wie eine Schlafwandlerin zog Katherine den Mantel aus. Vielleicht hatte er bei einem der anderen Männer übernachtet, sagte sie sich. Es mußte nicht gleich Angie gewesen sein, auch wenn sie zierlich und schmal war.
Als sie den Computer anschaltete, empfand sie eine tiefe Abneigung gegen ihren Schreibtisch. Warum denn das? Irritiert sah sie auf und versuchte festzustellen, was fehlte. Dann merkte sie es: Joe saß nicht auf der Kante.
Während sie sich den Morgen über den Anschein gab, als befaßte sie sich mit komplizierten Bilanzen, vervollkommnete sie gleichzeitig ihre Fähigkeit, unauffällig zu beobachten, weil sie herausfinden wollte, ob es Zeichen der Verständigung zwischen Joe und Angie gab. Sie sprachen nicht miteinander, aber Katherine wußte sehr wohl, daß das bedeutungslos war. Wenn zwei Menschen miteinander geschlafen hatten, ignorierten sie sich häufig bei der nächsten Begegnung. Im Gegenteil, je mehr sie einander ignorierten, desto
wahrscheinlicher
war es, daß sie miteinander geschlafen hatten.
Sowohl Joe als auch Angie saßen an ihrem Computer und hauten in die Tasten, aber das beruhigte Katherine nicht im geringsten, denn möglicherweise schrieben sie sich heiße E-Mails.
Katherine fiel noch etwas auf, das sie verstörte. Wenn man sich Joe Roths jungenhaftes, freundliches Gebaren wegdachte, was blieb dann übrig? Ein grimmig blickender Mann mit Sex-Appeal. Katherine war er – verschlossen, mit Bartstoppeln, im Hemd und Anzug von gestern – noch nie so attraktiv vorgekommen.
Unauffällig lauschte sie dem Bürotratsch, weil sie herausfinden wollte, ob Angie inzwischen mit einem neuen Namen versehen worden war. Einem möglichst vulgären, was darauf hinweisen würde, daß sie mit einem der Männer geschlafen hatte. Aber sie erfuhr nichts. Alle redeten nur davon, daß ihnen übel sei und sie einen Kater hätten. Und sie nie wieder was trinken würden. Daß keiner einen blassen Schimmer habe, was nach zehn Uhr passiert war. Und Darren sich an der Tür übergeben habe. Daß sie hinausgeworfen worden seien.
Katherine fühlte sich öde und leer. Nie nahm sie am Leben teil, immer blieb sie am Rand.
»Entschuldigung, Eiskönigin.« Katherine hob den Kopf. Angie stand vor ihr. Einen verrückten Augenblick dachte sie, Angie wollte ihr sagen, daß sie nicht mit Joe Roth im Bett gewesen war. Aber nur für einen Augenblick…
»Wie hast du mich genannt?«
»Eiskönigin«, sagte Angie freundlich.
Als Angie Katherines Gesichtsausdruck sah, zögerte sie. »Heißt du nicht so?« Sie war verwirrt. »So nennen dich die anderen. Ich dachte, es ist ein irischer Name. Ich habe eine Kusine, die heißt Quiveen…«
»Ich heiße Katherine, und unsere Kollegen nennen mich die Eiskönigin, weil ich zuviel Selbstachtung habe, um mit den Leuten, mit denen ich arbeite, zu schlafen«, fuhr Katherine sie an.
»Oh, Mist –« Angie war peinlich berührt und ein wenig beschämt. Beschämt, weil sie nicht genügend Selbstachtung hatte, um nicht mit jemandem aus dem Büro zu schlafen?
»Jetzt verstehe ich –
die
Eiskönigin. Entschuldigung! Ich wollte nur meine Steuerklasse für die Gehaltsabrechnung einreichen.« Sie warf ein Blatt auf den Tisch. »Damit ich nicht versehentlich in die falsche Steuerklasse komme.« Dann machte sie sich davon.
Katherine betrachtete das Blatt auf dem Schreibtisch. Nichts wäre leichter, als wenn sie einen Fehler machte und Angie in die Steuerklasse steckte, in der ihr die höchstmögliche Steuer abgezogen würde und ihr Gehalt ein Minusbetrag von mehreren tausend Pfund wäre. Natürlich mußte sie es im folgenden Monat korrigieren, aber würde es sich nicht lohnen, allein, um Angies Gesicht zu sehen?
Das ist unprofessionell, tadelte sie sich, und der Unfug hörte auf. Es war eine schöne Vorstellung, aber weiter durfte es nicht gehen. Mit einem unhörbaren Seufzer wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Sie würde damit fertig werden. Es würde ein paar Tage dauern, bis sie sich wieder beruhigt hatte, aber sie würde es schaffen.
28
T aras Woche verlief sehr gut. Oder besser gesagt, enthaltsam. Nur zwei kleine Ausrutscher. Am Mittwoch ließ sie sich mittags zu Fish and Chips hinreißen, und am Freitag aß sie das übliche süße Teilchen. (Es käme ihr nicht in den Sinn, mit dieser Tradition zu brechen!) Aber das Gute war, daß ihr
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