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Pusteblume

Pusteblume

Titel: Pusteblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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fragen, die würde nur Schlechtes über ihn sagen. Aber das Gute daran war, daß Katherine ihn bestimmt mögen würde, einfach weil ihre Mutter ihn ablehnte.
    Katherines Gedanken verselbständigten sich, und sie sah eine helle, glückliche Zukunft vor sich. Sie würde nach England gehen und dort mit ihrem Vater leben. Was brauchte man einen Ehemann oder einen Freund, wenn man einen Vater hatte? Er würde ihre Vergangenheit und ihre Zukunft in einem anderen Licht erscheinen lassen, und sie würde nie wieder in einen Schlamassel geraten, weil ihr Vater ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen würde.
    Sie lag im Bett und malte sich aus, wie ihr Vater sein würde. Wahrscheinlich hatte er einen Schrebergarten. Alle Engländer von einem bestimmten Alter ab hatten einen Schrebergarten. Er würde Rhabarber für sie anbauen. Sie würden zusammen in den Schrebergarten gehen, nur sie zwei, und während er die Erde umgrub, würde sie ihm von ihrem Leben erzählen. Und er würde nicht viel sagen, aber was er sagte, wäre voller Weisheit.
Männlicher
Weisheit.
    Oder vielleicht wäre er sehr lebhaft und humorvoll und würde mit einem Cockney-Akzent sprechen, wie die Leute aus dem Osten von London. Und vielleicht hatte er keinen festen Job und war einer, der sich so durchschlug. Auf legale Art natürlich. Keine krummen Geschäfte. Ein Elternteil, der ein schräger Vogel war, reichte völlig aus.
    Er könnte auch vornehm sein. Dann würde er sie »meine Liebe« nennen, doch seine förmliche Ausdrucksweise würde die Wärme der Gefühle, die er für sie empfand, nicht verbergen. Vielleicht hatte er noch andere Kinder, mit denen er sich nicht so gut verstand, und brauchte jemanden, der den Buchhalterposten in seinem Geschäft übernahm, und sie käme genau im richtigen Moment.
    Es kam ihr kaum in den Sinn, daß Geoff Melody nicht an ihr interessiert sein könnte. Ihr Bedürfnis war so groß, daß sie die Möglichkeit, ihre Gefühle könnten nicht erwidert werden, nicht in Betracht ziehen konnte.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie den Brief fertig hatte. Sie hatte gelernt, daß Männer nicht gern mit krasser Bedürftigkeit konfrontiert werden, deswegen drückte sie ihren Wunsch, Geoff Melody kennenzulernen, in neutralen, unverbindlichen Worten aus. Sie wußte, daß er ihr helfen konnte, aber sie durfte ihn jetzt nicht in die Flucht schlagen, indem sie das durchblicken ließ.
    Ich fordere nichts
war das, was sie in ihrem Brief sagte.
    Zehn Tage nachdem Katherine ihn geschickt hatte, bekam sie einen Umschlag mit englischer Briefmarke. Ihr Vater hatte geantwortet! Ein fester, teurer Umschlag.
    Aber der Brief kam nicht von ihrem Vater. Er war von dem Anwalt, der mit der Vollstreckung des Testaments ihres Vaters beauftragt war und ihr mitteilte, daß ihr Vater vor sechs Monaten an Lungenkrebs gestorben war.
    Während das Ende ihrer Liebesaffäre für sie wie ein Todesfall war, war der Tod ihres Vaters wie das Ende einer Liebesaffäre.
27
    A m nächsten Morgen konnte Katherine es kaum erwarten, ins Büro zu kommen. Sie wollte unbedingt wissen, ob Joe die ganze Nacht mit Angie gevögelt hatte. Doch als sie im Büro ankam, hatte sich ihre Aufregung gelegt. Er hatte schließlich den Eindruck erweckt, als wäre er ganz verknallt in sie, und sie war überzeugt, daß sich das nicht einfach in Luft aufgelöst hatte. Außerdem war er anständig und rücksichtsvoll und nicht der Typ, der mit einer ins Bett ging, die er kaum kannte.
    Und wenn er so anständig und rücksichtsvoll war, gab es keinen Grund, warum sie nicht mit ihm ausgehen sollte. Ihre ganze Anspannung war verflogen. Sie sah Joe an der Wand neben der Kaffeemaschine lehnen und lächelte ihm unwillkürlich zu. Doch auf den zweiten Blick merkte sie, daß er unrasiert, zerknittert und übernächtigt aussah, ja, richtiggehend gealtert.
    Sie stellte in alptraumähnlichem Zeitlupentempo fest, daß seine Kleider die von gestern waren. Täuschte sie sich auch nicht? Sie zwang sich, ihn nochmals anzusehen. O Gott! Derselbe Anzug. Dasselbe Jackett, das er gestern nachmittag ausgezogen hatte. Dasselbe Hemd, dessen Ärmel er aufgekrempelt hatte. Dieselbe Krawatte, die er gelockert hatte. Ein klares Zeichen, daß er nicht nach Hause gegangen war.
    Eine Stille überkam sie. Sie fühlte sich, als hätte ihr Blut aufgehört zu fließen, als hätte der Schock es zu einem abrupten Halt gebracht.
    Er erwiderte ihr rasant verschwindendes Lächeln nicht. Seine braunen Augen, die normalerweise vor Wärme und

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