Pusteblume
Fintans Freunden Aids diagnostiziert worden war, hatte sie sich vor diesem schlimmsten aller Alpträume gefürchtet. Jetzt war es soweit, und er trat mit schrecklicher Unausweichlichkeit in ihr Leben. Wie hatte sie je daran zweifeln können, daß es passieren würde?
Ihr fiel wieder ein, daß sie sich über seine Schwellung am Hals lustig gemacht hatte, und ihr Atem ging plötzlich stoßweise.
»Außerdem hat er Gewicht verloren«, sagte Sandro.
»Ich habe ihn doch erst vor einer Woche gesehen.« Tara war mit einem Mal richtig wütend. »Er kann doch nicht viel Gewicht verloren haben.«
»Es tut mir leid, Tara«, sagte Sandro.
»Warum hast du mich nicht angerufen? Ich habe dauernd Nachrichten hinterlassen. Ich habe ständig angerufen.« Sie hatte das verrückte Gefühl, daß sie es hätte verhindern können, wenn sie es eher gewußt hätte.
»Ich wußte nicht, daß es so schlimm war«, erklärte Sandro. »Und ich war nicht in London. Ich war bis gestern in Norwich.«
»Und Fintan, warum hat der nicht angerufen?«
»Tara, er war fast die ganze Woche im Krankenhaus.«
»Im KRANKENHAUS?«
Vinnie stieß seinen Kaffee um, und die dünne Cheryl, Sandra und Dave lugten um die Trennwand, um zu sehen, was los war. Tara merkte von alldem nichts. Daß Fintan schon in dem Stadium war, wo er ins Krankenhaus mußte, war ein Schock für sie. Ihr kamen die Tränen, aber sie wußte nicht, ob das aus Zorn, Kummer, Angst oder Mitleid war. »Ich dachte, er war in Brighton.«
»Er hat mich auch belogen. Er hat gesagt, es sei eine Grippe.«
»Aber wie konntest du es zulassen, daß er allein ins Krankenhaus gehen mußte?« Tränen rannen ihr über die Wangen, und sie merkte kaum, wie Ravi ihr eine Papierserviette in die Hand drückte.
»Tara, ich wußte nichts davon, ich hatte keine Ahnung!« Sandro war verzweifelt. »Er hat mich in Norwich angerufen und gesagt, er habe die Grippe und vielleicht würde er nicht ans Telefon gehen, wenn er schlief.«
»Und du hast dir keine Sorgen gemacht?« fragte Tara spitz, fast ein bißchen sarkastisch.
»Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht«, erwiderte Sandro. »Ich mache mir schon seit langem Sorgen.«
Das war ein Schock. Taras Zorn auf Sandro verpuffte. Er hatte Fintan nicht vernachlässigt. Er hatte sich Sorgen gemacht. Es war alles viel schlimmer, als sie ahnte.
»Vielleicht hat er tatsächlich die Grippe«, sagte sie in einem Anflug von irrationaler Hoffnung. »Bei Grippe hat man auch hohes Fieber, und man fühlt sich schwach und wird dünner. Nur ich nicht. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch, der zunimmt, wenn er krank ist.«
»Er ist im Krankenhaus«, erinnerte Sandro sie. »Es ist keine Grippe.«
Tara hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, Fintan zu sehen. Sie wollte genau wissen, wie es um ihn stand, und ihn allein durch ihre Anwesenheit gesund machen.
»Wir sind jetzt im Krankenhaus, der Arzt ist bei ihm«, sagte Sandro. »Er wird entlassen. Du kannst ihn zu Hause besuchen.«
»Hast du … du hast Katherine noch nichts erzählt, oder?« fragte Tara und hielt mit feuchter Hand den Hörer.
Er hatte noch nicht mit ihr gesprochen.
Tara wählte Katherines Nummer. Oft werden schlechte Nachrichten mit einem merkwürdigen Frohlocken weitergegeben. Auch dann, wenn Menschen sehr vertraut miteinander sind, besteht häufig eine unterschwellige Sensationsgier. Dazu kommt, daß der Übermittler schlimmer Nachrichten einen seltsam makabren Status genießt.
Tara verspürte nichts dergleichen.
Katherine die Nachricht zu überbringen war mit das Schwierigste, was sie je im Leben zu tun hatte. Wenigstens war sie, Tara, vorgewarnt gewesen, daß irgendwas nicht Ordnung war, weil Fintan ihr von seinem Kiwi-Hals erzählt hatte. Aber für Katherine kam die Nachricht aus heiterem Himmel.
»Katherine?«
»Hallo!«
»Ich habe schlechte Nachrichten«, platzte Tara heraus und verhinderte so eine normale Montagmorgenunterhaltung: Was sie am Samstagabend gemacht hatten und wie sehr Tara den Freitag herbeisehnte.
Katherine wartete ab. Sie ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, stellte nicht lauter panikerfüllte Mutmaßungen an.
»Es geht um Fintan«, sagte Tara. »Er ist krank.«
»Inwiefern krank?« fragte Katherine mit kühler, gemessener, nachdenklicher Stimme.
»Sie wissen es noch nicht mit Sicherheit. Aber er hat Nachtschweiß und Gewichtsverlust, und er ist schwach…«
Darauf war es ganz still. Dann drang ein seltsames Geräusch aus dem Hörer an Taras Ohr. Wie ein
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