Pyramiden
damit zu Tode. Ja, sie zerbrechen sich den Kopf, denken noch in meinem Magen darüber nach.«
»Oh, ich möchte die Qualität des Rätsels keineswegs in Frage stellen«, versicherte Teppic. »Es ist sehr tiefsinnig und symbolisch. Das ganze menschliche Leben, mit wenigen Worten zum Ausdruck gebracht. Aber du mußt zugeben, daß so etwas nicht an einem einzigen Tag geschehen kann, oder?«
»Nun, mag sein«, erwiderte die Sphinx unsicher. »Aber das geht bereits aus dem Kontext hervor. Jedes gute Rätsel enthält Elemente dramatischer Analogie«, fügte sie hinzu. Sie schien diesen Satz vor langer Zeit gehört und Gefallen daran gefunden zu haben, doch Teppic bezweifelte, ob sie den Autor begnadigt hatte.
»Ja«, sagte er, setzte sich und strich einige Knochen beiseite. »Aber zeichnet sich die Metapher durch innere Logik aus? Nehmen wir einmal an, die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt siebzig Jahre, in Ordnung?«
»Meinetwegen«, brummte die Sphinx im Tonfall einer Hausfrau, die gerade den Verkäufer hereingelassen hat und überlegt, wie sie dem heimkehrenden Ehemann am Abend auf einen neuen Staubsauger und die entsprechende Rechnung vorbereiten soll.
»Na schön. Gut. Der Mittag des metaphorischen Tages wäre also mit einem Alter von fünfunddreißig Jahren gleichzusetzen, stimmt’s? Nun, die meisten Kinder stehen bereits nach zwölf Monaten auf, und daher erscheint die Bezugnahme auf vier Beine nicht besonders angemessen, oder? Ich meine, der größte Teil des Morgens wird auf zwei Beinen verbracht. Wenn man dein Beispiel als Grundlage nimmt …« Teppic zögerte, griff nach einem Oberschenkelknochen und schrieb Zahlen in den Sand. »Nach null Uhr dauert es zwanzig Minuten, höchstens eine halbe Stunde, bevor das vierbeinige Baby – obwohl nicht unerwähnt bleiben soll, daß hier zwei Arme im Spiel sind – zu einem zweibeinigen Kleinkind wird. Na, habe ich recht? Sei fair.«
»Nun …«, kommentierte die Sphinx.
»Und wenn wir den gleichen zeitlichen Maßstab anlegen: Einen Stock benutzt man wohl kaum um sechs Uhr, denn zu jenem Zeitpunkt beläuft sich das Alter erst auf zweiundfünfzig Jahre.« Teppic rechnete hingebungsvoll. »Ich glaube, nach einer Gehhilfe hielte man erst gegen halb neun Ausschau. Wobei wir natürlich von der Annahme ausgehen, die ganze Lebensspanne eines Menschen beschränke sich nur auf einen Tag, was ich, ehrlich gesagt, für absurd halte. Tut mir leid. Im Prinzip ist mit dem Rätsel alles in Ordnung; unglücklicherweise steht es in keiner Verbindung mit der Wirklichkeit.«
»Nun«, wiederholte die Sphinx, und diesmal klang es enttäuscht, »es läßt sich nicht ändern. Ich habe kein anderes Rätsel und muß damit vorliebnehmen.«
»Vielleicht solltest du es ein wenig ändern.«
»Wie meinst du das?«
»Sorg dafür, daß es ein wenig realistischer wird.«
»Hmm.« Die Sphinx hob eine Klaue und kratzte sich an ihrer Mähne.
»Vielleicht hast du recht«, sagte sie. Es klang nicht sehr überzeugt. »Ich könnte fragen: Was geht auf vier Beinen …«
»Im übertragenen Sinne«, warf Teppic ein.
»Was geht, im übertragenen Sinne, auf vier Beinen, und zwar …«
»Etwa zwanzig Minuten lang. Darauf haben wir uns doch geeinigt, nicht wahr?«
»Ja, ja. Was geht, im übertragenen Sinne, auf vier Beinen, und zwar zwanzig Minuten lang am Morgen …«
»Nun, es erscheint mir ein wenig übertrieben, vom ›Morgen‹ zu sprechen«, sagte Teppic. »Immerhin ist es erst kurz nach Mitternacht. Oh, sicher, definitionsgemäß handelt es sich um den Morgen, aber die Umgangssprache ordnet jene Phase der vergangenen Nacht zu. Was meinst du?«
Ein Schatten von Panik huschte durch das steinerne Gesicht der Sphinx.
»Was meinst du?« fragte sie verzagt.
»Mal sehen, ob wir alles in die richtige Reihenfolge bringen können. Was geht, im übertragenen Sinne, kurz nach Mitternacht auf vier Beinen, auf zwei den größten Teil des Tages über …«
»Vorausgesetzt, es kommt zu keinen Unfällen«, sagte die Sphinx und bemühte sich damit, einen konstruktiven Beitrag zu leisten.
»Gut. Auf zwei Beinen – sofern Unfälle ausbleiben – bis mindestens zum Mittag. Nach einer kurzen Mahlzeit setzt es den Lebensweg auf drei Beinen fort …«
»Ich habe Leute gesehen, die zwei Gehstöcke benutzen«, gab die Sphinx zu bedenken.
»In Ordnung. Wie wär’s damit: Nach einer kurzen Mahlzeit setzt es den Weg auf zwei Beinen und mit Gehhilfen seiner Wahl fort?«
Die Sphinx erwog diesen
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