Pyramiden
herrscht bei uns kein Mangel. Ebensowenig an Sand. Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes steinreich. Wenn du jemals Steine und Sand brauchst, so wende dich getrost an uns. Teuer wird’s erst, wenn es um das Innere der Pyramiden geht. Wir vermeiden es noch immer, Großvaters Grabstätte zu bezahlen, und sie ist gar nicht besonders groß, besteht nur aus drei Kammern.« Teppic zuckte mit den Schultern und sah aus dem Fenster. Inzwischen befanden sie sich wieder in einem der Schlafsäle.
»Das ganze Königreich ist verschuldet«, sagte er leise. »Selbst unsere Schulden haben Schulden. Um ganz ehrlich zu sein: Aus diesem Grund bin ich hier. Jemand aus meiner Familie muß endlich damit beginnen, Geld zu verdienen. Ein königlicher Prinz kann sich nicht mehr darauf beschränken, repräsentative Aufgaben wahrzunehmen. Er muß die Ärmel hochkrempeln und sich nützlich machen.«
Schelter lehnte sich ans Fensterbrett.
»Wie wär’s, wenn ihr einige der Grabbeigaben aus den Pyramiden holt?« schlug er vor.
»Soll das ein Witz sein?«
»Nein. Entschuldige bitte.«
Teppic starrte kummervoll nach draußen und beobachtete die Gestalten auf dem Hof.
»Hier herrscht ein erstaunlich reger Betrieb«, sagte er, um das Thema zu wechseln. »Ich habe mir die Schule nicht so groß vorgestellt.« Er schauderte. »Und auch nicht annähernd so kalt.«
»Es kommt immer wieder vor, daß Schüler beschließen, ihre Sachen zu packen und zu gehen«, brummte Schelter. »Weil sie glauben, die Kurse seien zu schwer. Man muß einfach wissen, was was und wer wer ist. Siehst du den Burschen dort drüben?« Er streckte die Hand aus.
Teppic blickte in die entsprechende Richtung. Schelters Zeigefinger deutete auf einige ältere Schüler, die an den Torsäulen standen.
»Meinst du den großen? Mit dem Gesicht, das aussieht wie ein Stiefelabsatz?«
»Er heißt Fliemoe. Wir nennen ihn Achduschreck. Halt dich von ihm fern. Erst recht dann, wenn er dich in sein Zimmer einlädt.«
»Und der mit den Locken?« fragte Teppic. Er zeigte auf einen kleinen Jungen, der vor einer mitgenommen wirkenden Frau stand. Sie befeuchtete ihr Taschentuch und rieb dem Knaben Schmutzflecken von Stirn und Wangen. Anschließend rückte sie sein Halstuch zurecht.
Schelter beugte sich vor. »Oh, einer von den neuen Schülern«, sagte er. »Arthur Soundso. Offenbar ein Muttersöhnchen. Meine Güte, sieh dir bloß mal seine Mami an. Man könnte sie mit einer Mumie verwechseln.«
»Das bezweifle ich«, erwiderte Teppic düster. »Das bezweifle ich sogar sehr. Mit Mumien kenne ich mich aus.«
Ein rundes Glasstück fiel nach innen und zersplitterte auf dem Boden des Zimmers. Einige Minuten lang blieb alles still, und dann bewegte sich der Pumphebel einer kleinen Ölkanne. Die ganze Zeit über hatte ein Schatten auf der Fensterbank gelegen, wie eine Erweiterung der Nacht – einige Schmeißfliegen darunter machten die unliebsame Erfahrung, daß die Dunkelheit der Nacht bemerkenswert massiv und schwer sein konnte. Jetzt erwies er sich als Arm, der in einer Hand endete. Selbst eine langsame Schnecke wäre schneller gewesen als die Fingerkuppen, die über Staub und Glas tasteten, sich dem Riegel näherten.
Ein kaum hörbares Schaben, und das Fenster schwang mit gut geschmierter Lautlosigkeit auf.
Teppic huschte über den Sims und verschwand in der Finsternis des Zimmers.
Eine Zeitlang herrschte jene Stille, die von jemandem hervorgerufen wird, der sich mit größter Vorsicht bewegt. Erneut das Pumpen der Ölkanne, gefolgt von einem metallenen Flüstern. Teppic schob den Bolzen der Falltür zur Seite, die Zugang zum Dach gewährte.
Er wartete, bis sich seine Lungen wieder mit Luft füllten, und genau in diesem Augenblick hörte er das Geräusch. Auf der Dezibel-Skala mußte es irgendwo unter der Marke Null angesiedelt werden, und Teppic schaltete einen inneren Verstärker hinzu. Kein Zweifel: Jemand hockte auf dem Dach und hatte gerade die Hand auf ein Blatt Papier gelegt, damit es nicht raschelte.
Teppic ließ den Bolzen los, durchquerte das dunkle Zimmer, glitt an einer Holzwand entlang und erreichte eine Tür. Diesmal ging er nicht das geringste Risiko ein, öffnete die Ölkanne und ließ einen stillen Tropfen auf die Angeln fallen.
Einige Sekunden später verließ er den Raum. Eine Ratte patrouillierte gelangweilt im zugigen Korridor und hätte fast ihre eigene Zunge verschluckt, als Teppic vorbei schwebte.
Er passierte eine weitere Tür, schlich durch mehrere
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