Pyramiden
Große Orm in einer der Unteren Höllen«, sagte Arthur. »Von dort aus beobachtet er uns. Beziehungsweise mich. Nur Mutter und ich sind übriggeblieben, und meine Mama ließe sich bestimmt nie etwas zuschulden kommen, das Strafe erfordert. Deshalb kann der Große Orm seine ganze Aufmerksamkeit auf mich konzentrieren.«
»Ich werde dem Brief einen entsprechenden Hinweis hinzufügen«, versicherte Teppic.
»Glaubst du, der Große Orm erscheint heute nacht?« fragte Arthur nervös.
»Ich bezweifle es. Um ganz sicher zu gehen, spreche ich mit meinem Vater. Er wird dem Großen Orm sagen, daß er in der Unteren Hölle bleiben kann.«
Am anderen Ende des Schlafsaals kniete Schelter auf Käseweiß’ Rücken und stieß den Kopf des rothaarigen Jungen immer wieder an die Wand.
»Sag es noch einmal!« befahl er. »Worauf wartest du noch? ›Wer genug Mut hat …‹«
»›Wer genug Mut hat, seine Gebete in Gegenwart …‹ Ich verfluche dich, du verdammter …«
»Ich kann dich nicht hören, Käseweiß«, sagte Schelter.
»›… in Gegenwart der Schulkameraden zu sprechen, ist ein ganzer Mann.‹«
»Genau. Vergiß es nicht.«
Als das Licht gelöscht wurde, streckte sich Teppic erneut auf der Matratze aus und dachte über Religion nach. Zweifellos ein recht schwieriges und komplexes Thema.
Im Djel-Tal gab es viele Götter, die in keiner Beziehung zum Rest der Welt standen – darauf waren die Bewohner des Alten Königreichs sehr stolz. Es handelte sich um weise und gerechte Götter, die das Leben der Menschen mit klugem Weitblick bestimmten. Völlig klar. Trotzdem ergaben sich einige Fragen.
Teppic wußte zum Beispiel, daß sein Vater die Sonne aufgehen ließ und auch für regelmäßige Überschwemmungen sorgte. Eine elementare Erkenntnis. Seit Khufts Lebzeiten kümmerten sich die Pharaonen um solche Dinge – man konnte sie jetzt nicht einfach in Frage stellen. Andererseits: Ließ Teppicymon XXVII. die Sonne nur im Flußtal aufgehen oder auch in anderen Regionen der Scheibenwelt? Wahrscheinlich beschränkte sich Vater darauf, die Sonne nur im Tal aus ihrer Nachtruhe zu wecken – immerhin wurde er nicht jünger. Die Vorstellung, daß die Sonne überall aufging und nicht in Djelibeby, erschien Teppic absurd, und daraus ergab sich eine ebenso verwirrende wie plausible Schlußfolgerung: Vermutlich ging die Sonne selbst dann auf, wenn der Pharao vergaß, sie zu rufen. Teppic runzelte die Stirn und vertiefte diesen Gedanken. Er mußte zugeben, daß er nie irgendeine Sonnenaufgangs-Zeremonie erlebt hatte. Man sollte eigentlich erwarten, daß der König beim Morgengrauen nach draußen ging, um ein Ritual durchzuführen, aber statt dessen stand er immer erst nach dem Frühstück auf. Und die Sonne kletterte trotzdem am Firmament empor.
Es dauerte eine Weile, bis Teppic einschlief. Im Gegensatz zu Schelter fand er das Bett viel zu weich. Hinzu kamen kalte Luft und ein stockfinsterer Nachthimmel jenseits der Fenster. In Djelibeby waren die Nächte nie finster. Die Entladungsblitze der Pyramiden flackerten gespenstisch, wirkten jedoch gleichzeitig seltsam vertraut und beruhigend, so als wachten die Ahnen über das Tal. Die schwarze Dunkelheit bereitete Teppic Unbehagen …
Während der nächsten Nacht kam es zu einem weiteren Zwischenfall im Schlafsaal. Ein Junge von der Küste hatte beim Werken einen Bastkäfig gebaut, senkte ihn vorsichtig auf den Schüler im Nebenbett hinab und holte dann Streichhölzer hervor. Er konnte gerade noch daran gehindert werden, den Käfig mitsamt seinem schreienden Inhalt in Brand zu setzen. In der folgenden Nacht hielt ein anderer Knabe den Zeitpunkt für gekommen, einen privaten Gottesdienst zu veranstalten. Schnocksel – er stammte aus einem abgelegenen Ort im Wald – beschmierte sich mit grüner Farbe und suchte nach Freiwilligen, die bereit waren, ihren Darm um einen Baumstamm wickeln zu lassen. Donnerstagabend brach ein regelrechter Krieg zwischen Anhängern der Göttlichen Mutter aus. Die eine Front verehrte ihre Manifestation als Mond; die andere hielt das für Unsinn und vertrat den Standpunkt, der Mond sei nur ein Trick, um Leichtgläubige in die Irre zu führen – in Wirklichkeit sei die Himmelsmama eine enorm dicke Frau mit enorm dickem Hinterteil.
Als die Schlacht begann, hielten die Meister eine Intervention für angebracht. Sie meinten, Religion sei zwar eine gute Sache, aber man könne es auch damit übertreiben.
Teppic war ziemlich sicher, daß Unpünktlichkeit
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