Pyramiden
durchs Tor des Gildenhauses, wählte als Sitzplatz eine schwarze Marmorbank und stützte das Kinn auf die Hände.
Er fand sich plötzlich in einer Sackgasse seines Lebens wieder. Bisher hatte er nicht gewagt zu überlegen, was nach der Abschlußprüfung geschehen sollte. In seiner Vorstellung dauerte die Schule ewig.
Jemand berührte ihn an der Schulter. Teppic drehte den Kopf und sah Schelter, der sich neben ihn setzte und wortlos ein rosarotes Blatt hervorholte.
»Gebongt«, sagte er.
»Du hast ebenfalls bestanden?« fragte Teppic.
Schelter lächelte. »Klar doch«, erwiderte er. »Mein Prüfer hieß Nivor. Absolut kein Problem. Nur beim Not-Sturz ergaben sich gewisse Schwierigkeiten. Wie ist es dir ergangen?«
»Mir? Oh, es lief alles glatt.« Teppic versuchte, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. »So glatt wie … glattes Eis.«
»Was von den anderen gehört?«
»Nein.«
Schelter lehnte sich zurück. »Käseweiß schafft es bestimmt«, sagte er wie beiläufig. »Und auch Arthur. Bei den übrigen bin ich mir nicht ganz so sicher. Ich schlage vor, wir geben ihnen zwanzig Minuten Zeit, einverstanden?«
Teppic schnitt ein kummervolles Gesicht.
»Schelter, ich …«
»Ja?«
»Als es ernst wurde …«
»Ich bin ganz Ohr.«
Teppic starrte aufs Kopfsteinpflaster. »Ach, nichts«, murmelte er.
»Du hattest Glück. Bei der Tour über die Dächer konntest du wenigstens frische Luft atmen. Ich mußte durch die Abwasserkanäle, und anschließend blieb mir nichts anderes übrig, als den Herrenausstatter-Turm aufzusuchen. Um mich umzuziehen.«
»Bei dir war’s eine Attrappe, oder?« fragte Teppic.
»Heiliger Himmel, bei dir etwa nicht?«
»Aber man ließ uns im Glauben, es sei eine richtige Person«, klagte Teppic.
»Wirkte ziemlich echt, nicht wahr?«
»Zu echt!«
»Tja, was soll’s«, sagte Schelter fröhlich. »Wir haben die Abschlußprüfung bestanden. Kein Problem.«
»Aber hast du dich nicht gefragt, wer unter der Decke liegt und warum …«
»Ich hatte nur Angst, die Gestalt zu verfehlen«, gestand Schelter ein. »Und ich dachte mir: Mach dir keine Sorgen, alter Knabe; bestimmt ist es nur eine Puppe.«
»Aber ich …« Teppic unterbrach sich. Sollte er Schelter alles erklären? Nein, das schien keine gute Idee zu sein.
Sein Freund klopfte ihm auf den Rücken.
»Kopf hoch, Junge«, sagte er. »Wir haben’s geschafft, Mann!«
Dann hob er die rechte Hand, preßte den Daumen an Zeige- und Mittelfinger – der traditionelle Assassinen-Gruß.
Ein an Zeige- und Mittelfinger gepreßter Daumen … Der hagere Professor Krux, Erster Tutor der Gilde, blickte auf seine Schüler herab.
»Wir morden nicht«, sagte er. Der Professor sprach immer sanft, aber seine Stimme klang irgendwie durchdringend und konnte selbst das Heulen eines Orkans übertönen.
»Wir nehmen nicht an Hinrichtungen teil. Ebensowenig an Massakern. Das Foltern – in diesem Punkt könnt ihr ganz sicher sein – überlassen wir anderen. Niemand von uns befleckt sein Gewissen mit Verbrechen der Leidenschaft oder des Hasses. Profitgier ist uns fremd. Wir inhumieren nicht, weil wir Gefallen daran finden oder für eine Sache eintreten. Es geht uns keineswegs darum, irgendwelche Vorteile zu erringen. Um es noch einmal zu betonen: Derartige Motive sind in höchstem Maße verdächtig. Wenn ihr jemandem ins Gesicht seht, der bereit ist, für eine Sache zu töten, so riechen eure Nasen zweifellos den Geruch des Abscheus. Solltet ihr jemals Gelegenheit bekommen, eine flammende Rede zu hören, die einen Heiligen Krieg beschwört, so nehmen eure Ohren gewiß das heisere Krächzen des Unheils wahr, während der Schuppenschwanz des Verhängnisses über die Reinheit der Sprache kratzt.
Nein, wir inhumieren, weil man uns dafür bezahlt.
Und da gerade wir über den Wert des menschlichen Lebens Bescheid wissen, ist es nur angemessen, daß man uns gut bezahlt.
Gibt es ein besseres Motiv, das auf jede Heuchelei verzichtet?
Nullus totus ohne monetus. So heißt unser wichtigster Grundsatz. Vergeßt das nicht. Ohne Geld muß niemand dran glauben.«
Professor Krux legte eine kurze Pause ein.
»Und stellt immer eine Quittung aus«, fügte er hinzu.
»Es ist alles in bester Ordnung«, sagte Schelter. Teppic nickte düster. Genau das mochte er so an Schelter: Er hatte die beneidenswerte Fähigkeit, nie ernsthaft über das nachzudenken, was er anstellte.
Eine Gestalt trat zögernd durchs offene Tor. 7 Das Licht der Fackel im
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