Pyramiden
daß ihm nichts daran liegt, in einer Pyramide bestattet zu werden«, erklärte sie. »Er meinte, er schaudere bei der Vorstellung, unter Millionen Tonnen Gestein begraben zu werden. Ich möchte noch nicht sterben!«
»Du weigerst dich, freiwillig den Trank zu nehmen?« fragte Dios.
»Ja!«
»Aber, Kindchen …« Der Hohepriester schüttelte den Kopf. »Dann muß dich der Pharao zum Tode verurteilen. Ist es nicht besser, sich voller Würde zu verabschieden und ein ehrenvolles Leben in der Unterwelt zu beginnen?«
»Mir liegt nichts an einem ehrenvollen Leben in der Unterwelt!«
Die übrigen Priester stöhnten entsetzt. Dios nickte.
»Dann wird dich der Seelenfresser holen«, sagte er. »Gebieter, wir warten auf Ihr Urteil.«
Teppic stellte fest, daß sein Blick an der jungen Frau festklebte. Irgend etwas an ihr erschien ihm rätselhaft vertraut, und er fragte sich, ob er Ptraci schon einmal gesehen hatte, irgendwo …»Laßt sie gehen.«
»Seine Majestät Pharao Teppicymon XXVIII. Herr des Himmels, Lenker des Sonnenwagens, Steuermann der Sonnenbarke, Hüter des Geheimen Wissens, Lord des Horizonts, Bewahrer des Weges, Dreschflegel der Gnade, der Hochgeborene, der Ewig Lebende Herrscher, hat gesprochen! Morgen bei Sonnenaufgang wird man dich den Krokodilen im Fluß zum Fraß vorwerfen. Groß ist die Weisheit des Pharaos!«
Ptraci drehte sich um und starrte Teppic an. Er gab keinen Ton von sich. Er wagte es nicht, den Mund zu öffnen – aus Furcht davor, was seine Zunge anstellen mochte.
»Das war der letzte Fall, Gebieter«, sagte Dios.
»Ich ziehe mich jetzt in meine Gemächer zurück«, erwiderte Teppic kühl, »um über gewisse Dinge nachzudenken.«
»Ich gebe der Palastküche Bescheid, damit man Ihnen das Abendessen bringt.« Der Hohepriester legte eine kurze Pause ein. »Heute gibt es Hähnchen.«
»Spaghetti mit Tomatensoße wären mir lieber.«
Dios lächelte. »Nein, Gebieter. Am Mittwoch wünscht der Pharao immer ein gebratenes Hähnchen, Gebieter.«
Die Pyramiden entluden sich. Das von ihnen ausgehende Licht wirkte seltsam matt und körnig, fast grau, doch über den Schlußsteinen flackerte es weitaus heller. Flammenzungen leckten nach dem dunklen Firmament.
Das leise Schaben von Metall auf Stein weckte Ptraci aus einem unruhigen Schlaf. Langsam stand sie auf und schlich zum Fenster.
Normale Zellenfenster waren breit und hoch, und der Gefangene mußte nur den einen oder anderen Eisenstab lockern, um in die ersehnte Freiheit zu gelangen. In diesem Fall aber handelte es sich nur um einen fünfzehn Zentimeter breiten Schlitz. Siebentausend Herrschaftsjahre hatten die Pharaonen des Djel-Tals gelehrt, daß Zellen dazu bestimmt waren, Häftlinge an der Flucht zu hindern. Um durch die schmale Öffnung zu passen, mußte man sich vorher in kleine Stücke schneiden.
Vor dem Licht der Pyramiden zeichnete sich ein Schatten ab, und eine leise Stimme sagte: »Pscht.«
Ptraci preßte sich an die Wand, streckte den Arm aus und versuchte, den Schlitz zu erreichen.
»Wer bist du?«
»Ich bin gekommen, um dir zu helfen. Oh, verdammt. Das hier soll ein Fenster sein? Aufgepaßt, ich werfe jetzt ein Seil.«
Ein dicker silberner Strick, der an mehreren Stellen Knoten aufwies, fiel an der jungen Frau vorbei. Ein oder zwei Sekunden lang beobachtete sie ihn unschlüssig, streifte die kleinen Schnabelschuhe ab und begann zu klettern.
Eine dunkle Kapuze verbarg den größten Teil des Gesichts jenseits der Öffnung, aber Ptraci bemerkte trotzdem die Sorge in den schemenhaften Zügen.
»Verzweifle nicht!« sagte der Unbekannte.
»Das liegt mir fern. Ich habe geschlafen.«
»Oh, entschuldige die Störung. Ich gehe wieder und lasse dich allein, in Ordnung?«
»Ich verzweifle erst, wenn ich morgen früh aufwache. Worauf stehst du da, Dämon?«
»Schon mal was von Steigeisen gehört?«
»Nein.«
»Nun, zwei davon geben mir Halt.«
Eine Zeitlang musterten sie sich schweigend.
»Na schön«, sagte das Gesicht schließlich. »Offenbar muß ich einen Umweg machen. Die Tür dürfte ein wenig breiter sein. Geh nicht weg!« Die dunkle Gestalt glitt nach oben.
Ptraci nahm auf dem kalten Boden Platz. Der Dämon wollte durch die Tür hereinkommen? Lächerlich. Zuerst mußte sie von Menschen geöffnet werden.
Sie hockte in der fernsten Ecke der Zelle und starrte auf das hölzerne Rechteck in der gegenüberliegenden Wand.
Lange Minuten verstrichen. Irgendwann hörte das Dienstmädchen etwas. Es klang wie ein
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