Qiu Xiaolong
sich und eine Reihe hübscher Frauen um sich hat – und nicht nur bei der Arbeit, würde ich sagen. Warum also hätte Wu den eifersüchtigen Othello spielen sollen?«
»Othello oder nicht, aber vielleicht ist es auch genau andersherum. Wu hatte eine andere Frau oder mehrere andere Frauen – diese ganzen Fotomodelle, nackt –, und Guan konnte das nicht aushalten und machte ihm deshalb eine häßliche Szene.«
»Selbst wenn das so war, kann ich immer noch nicht erkennen, warum Wu sie umbringen mußte. Er hätte mit ihr Schluß machen können. Guan war schließlich nicht seine Frau, sie war nicht in der Lage, ihn zu irgend etwas zu zwingen.«
»Ja, da ist etwas dran«, sagte Yu. »Wenn sich herausgestellt hätte, daß Guan schwanger war, könnten wir davon ausgehen, daß sie ihm drohte. Ich habe solche Fälle gehabt. Die schwangere Frau wollte, daß der Mann sich ihretwegen von seiner Frau scheiden ließ. Der Mann konnte das nicht, also mußte er sie beseitigen. Aber laut Autopsiebericht war sie nicht schwanger.«
»Ja, das habe ich auch mit Dr. Xia abgeklärt.«
»Was tun wir also als nächstes?«
»Wus Alibi überprüfen.«
»In Ordnung, ich übernehme Guo Qiang. Aber ich wette, daß Wu sich mit ihm abgesprochen hat.«
»Ja, ich bezweifle, daß Guo uns etwas erzählen wird.«
»Was können wir sonst noch tun?«
»Mit einigen Leuten reden.«
»Mit welchen Leuten?«
Chen zog eine Kopie der Blumenstadt aus seiner Aktentasche und schlug das ganzseitige Bild einer nackten Frau auf, die auf der Seite lag. Sie zeigte der Kamera nur ihren Rücken, doch all ihre Linien und Kurven waren weich, verführerisch, die Backen ihres Hinterns rund wie der Mond. Ein schwarzes Muttermal auf ihrem Nacken hob das Weiße ihre Körpers hervor, der mit dem Hintergrund verschmolz.
»Wahnsinn, was für ein Körper«, sagte Yu. »Ist das Foto von Wu?«
»Ja, es ist unter seinem Pseudonym erschienen.«
»Mit Sicherheit hat dieser Hund seinen Teil am Pfirsichblütenglück gehabt!«
»Pfirsichblütenglück?« Chen sprach weiter, ohne auf eine Antwort zu warten. »Ach, ich verstehe, was Sie meinen. Glück bei den Frauen. Das mag wohl sein, aber dieses Bild hier ist eine Art Kunstwerk.«
»Und was sagt uns das?«
»Zufällig kenne ich dieses Fotomodell.«
»Wie?« fragte Yu und fügte dann hinzu: »Durch die Zeitschrift?«
»Sie ist ebenfalls eine Berühmtheit. Es überrascht nicht, daß Wu als professioneller Fotograf mit Nacktmodellen arbeitet, aber ich kann mir nicht vorstellen, warum gerade sie sich dazu hergegeben hat.«
»Wer ist sie?«
»Jiang Weihe, eine aufstrebende junge Künstlerin.«
»Nie gehört«, sagte Yu und setzte seine Tasse ab. »Kennen Sie sie gut.’«
»Nein, eigentlich nicht. Wir sind uns nur ein paarmal im Verband der Schriftsteller und Künstler begegnet.«
»Dann werden Sie also mit ihr sprechen?«
»Nun, vielleicht wären Sie die geeignetere Person dafür. Bei unseren bisherigen Begegnungen haben wir nur über Literatur und Kunst geredet. Es wäre deplaziert, wenn ich jetzt auf einmal als Polizist an ihre Tür klopfen würde. Außerdem wäre es mir rein psychologisch nicht möglich, bei einem Kreuzverhör mit der notwendigen Autorität aufzutreten. Ich schlage deshalb vor, daß Sie zu ihr gehen.«
»Schön, ich mache das, aber was wird sie uns Ihrer Meinung nach erzählen?«
»Reine Spekulation. Vielleicht ist da gar nichts. Jiang Weihe ist selbst Künstlerin, also macht es ihr nichts aus, ohne einen Fetzen Kleidung am Leib zu posieren. Man sieht auch nur ihren Rücken, und sie hat wohl geglaubt, daß niemand sie erkennen würde. Aber wenn die Leute wissen, daß es ihr nackter Körper ist, wird ihr das nicht sehr gefallen.«
»Verstehe«, sagte Yu. »Und was machen Sie?«
»Ich werde nach Guangzhou fahren.«
»Um die Reiseleiterin Xie Rong zu finden?«
»Ja. In der Aussage von Wei Hong gibt es etwas, das mich interessiert. Guan nannte Xie eine Hure. So ein Ausdruck ist für Guan, eine nationale Modellarbeiterin, ungewöhnlich. Auch Xie ist vielleicht auf irgendeine Weise in die Sache verwickelt, zumindest weiß sie etwas über die Beziehung zwischen Wu und Guan.«
»Wann fahren Sie?«
»Sobald ich eine Fahrkarte bekomme«, sagte Chen. »Parteisekretär Li wird in zwei bis drei Tagen wieder hier sein.«
»Ich verstehe. ›Ein General kann tun, was er will, solange der Kaiser nicht neben ihm steht.‹«
»Sie kennen sicherlich eine Menge alter Sprichwörter.«
»Die habe ich vom Alten
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