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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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nachdenken. Tut mir leid, ich erinnere mich an keinen Telefonanruf. Ich tätige jeden Tag eine Menge Anrufe, manchmal mehr als zwanzig oder dreißig. Ich kann mich nicht an ein bestimmtes Gespräch an einem bestimmten Tag erinnern.«
    »Wir haben das bei der Shanghaier Telefongesellschaft überprüft. Aus deren Aufzeichnungen geht hervor, daß der letzte Anruf, den Guan erhalten hat, unter Ihrer Nummer erfolgte. Am 10. Mai abends um halb zehn.«
    »Nun, ich denke, das ist durchaus möglich. Wir hatten über eine weitere Fotoserie gesprochen. Es kann also sein, daß ich sie angerufen habe.«
    »Was ist mit der Nachricht, die Sie hinterließen?«
    »Welche Nachricht?«
    »›Wir treffen uns, wie geplant. ‹«
    »Daran erinnere ich mich nicht«, sagte Wu, »aber das könnte sich auf die Fotositzung beziehen, über die wir gesprochen hatten.«
    »Eine Fotositzung nach neun Uhr abends?«
    »Ich merke, worauf Sie hinauswollen«, sagte Wu und schnippte Zigarettenasche auf den Tisch.
    »Wir wollen auf gar nichts hinaus«, entgegnete Chen. »Wir warten nur auf Ihre Erklärung.«
    »Ich habe die genaue Zeit, die wir ausgemacht hatten, vergessen, aber es könnte am nächsten Tag oder am Tag darauf gewesen sein.«
    »Sie scheinen für alles eine Erklärung zu haben«, sagte Yu. »Eine vorbereitete Erklärung?«
    »Ist das nicht genau, was Sie wollen?«
    »Wo waren Sie am Abend des 10. Mai?«
    »10. Mai, da muß ich überlegen. Ah, jetzt fällt es mir ein. Ja, ich war bei Guo Qiang.«
    »Wer ist Guo Qiang?«
    »Ein Freund von mir. Er arbeitet bei der Volksbank im neuen Teil von Pudong. Sein Vater war dort stellvertretender Direktor.«
    »Noch so ein Prinzling.«
    »Ich mag Leute nicht, die dieses Wort gebrauchen«, sagte Wu, »aber ich will mich nicht mit Ihnen streiten. Der Vollständigkeit halber will ich nur sagen, daß ich bei ihm übernachtet habe.«
    »Warum?«
    »Mit meiner Dunkelkammer war etwas nicht in Ordnung. Ich mußte an jenem Abend mehrere Filme entwickeln. Ich hatte einen Termin, den ich einhalten mußte. Also ging ich zu ihm und benutzte statt dessen sein Studio.«
    »Gibt es hier nicht genug Räume?«
    »Guo fotografiert ebenfalls gern. Es wäre viel zu umständlich gewesen, die Sachen hierherzubringen.«
    »Sehr praktisch. Sie waren also mit Ihrem Kumpel die ganze Nacht zusammen. Ein hieb- und stichfestes Alibi.«
    »Jedenfalls war ich am 10. Mai dort. Punktum. Und ich hoffe, Sie sind damit zufrieden.«
    »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen«, sagte Yu. »Wir werden zufrieden sein, wenn wir den Mörder vor Gericht gebracht haben.«
    »Warum sollte ich sie umgebracht haben, Genossen?«
    »Das werden wir noch herausfinden«, sagte Chen.
    »Jeder ist gleich vor dem Gesetz, egal, ob er Sohn eines hohen Kaders ist oder nicht«, sagte Yu. »Geben Sie uns Guos Adresse. Wir müssen ihn dazu befragen.«
    »Bitte schön, hier sind Anschrift und Telefonnummer«, sagte Wu und schrieb hastig ein paar Wörter auf ein Stück Papier. »Sie vergeuden meine Zeit und Ihre.«
    »Nun«, sagte Yu, sich erhebend, »wir sehen uns bald wieder.«
    »Das nächste Mal rufen Sie mich bitte vorher an«, sagte Wu und erhob sich aus dem ledernen Drehsessel seines Vaters. »Ich nehme an, daß Sie den Ausgang ohne Schwierigkeiten finden werden?«
    »Was heißt das?«
    »Die Villa ist sehr groß. Einige Leute haben sich hier schon verirrt.«
    »Danke für Ihre wichtigen Informationen«, sagte Yu und sah Wu fest in die Augen. »Wir sind Polizisten.«
    Sie fanden den Ausgang problemlos.
    Vor dem Tor wandte sich Yu um, um noch einmal einen Blick auf die Villa zu werfen, die immer noch zum Teil hinter den hohen Mauern zu sehen war, und ging los, ohne ein Wort zu sagen. Chen ging neben ihm her und war bemüht, das Schweigen nicht zu brechen. Es bestand ein unausgesprochenes Einverständnis zwischen ihnen: Der Fall war zu brisant, um darüber auf der Straße zu reden. Schweigend trotteten sie einige Minuten lang weiter.
    Sie hätten den Bus der Linie 26 nehmen sollen, um wieder ins Präsidium zu kommen, doch auch Oberinspektor Chen war diese Gegend nicht vertraut. Auf seinen Vorschlag hin versuchten sie, eine Abkürzung zur Huaihai Zhonglu zu nehmen, gerieten jedoch von einer Nebenstraße in die andere und landeten dann am Anfang der Quqi Lu. Die Huaihai Zhonglu war nicht zu sehen. Die Quqi Lu konnte nicht weit von der Hengshan Lu entfernt sein, aber sie wirkte so anders. Bei den Häusern hier handelte es sich überwiegend um billige Mietskasernen

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