Qiu Xiaolong
schnarchen entsetzlich laut. Anstatt also das Zimmer mit einem Fremden zu teilen, beschlossen Guan und ich, daß es vielleicht besser wäre, wenn wir gemeinsam in ein Zimmer gingen.«
»Sie beide wohnten also während der Reise in demselben Hotel?«
»Ja, das taten wir.«
»Sie kannten sie also genau genug«, intervenierte Chen, »um zu wissen, daß sie still sein würde, wenn Sie nichts hören wollten, und daß sie ruhig schlief, nie schnarchte oder sich hin- und herwälzte. Und umgekehrt, natürlich.«
»Nein, Genosse Oberinspektor«, sagte Wu und klopfte die Asche seiner Zigarette leicht über dem Aschenbecher ab. »Es ist nicht so, wie Sie vielleicht denken.«
»Was denken wir?« Yu entdeckte das erste leichte Anzeichen von Unbehagen in Wus Stimme. »Sagen Sie es mir, Genosse Wu Xiaoming.«
»Nun, das alles war Guans Idee«, sagte Wu. »Um ehrlich zu sein, es gibt noch einen wichtigeren Grund, warum sie wollte, daß wir uns als Paar registrieren ließen. Es geschah, um Geld zu sparen. Das Reisebüro gab Ehepaaren einen großen Rabatt. Ein Werbetrick. ›Kauf eine Reise, und du bekommst die zweite zum halben Preise.«
»Aber Tatsache war, daß Sie ein Zimmer teilten«, sagte Yu. »Als Mann und Frau.«
»Ja, als Mann und Frau, aber nicht als das, worauf Sie anspielen.«
»Sie waren mit einer jungen, hübschen Frau eine ganze Woche lang im selben Hotelzimmer«, sagte Yu, »ohne mit ihr ins Bett zu gehen? Das wollen Sie uns ernsthaft erzählen?«
»Das erinnert mich sehr an Liu Xiawei«, griff Chen ein. »Wirklich ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle!«
»Wer ist dieser Herr Liu Xiawei?« fragte Yu.
»Eine legendäre Persönlichkeit aus den Kriegen der Frühlings- und Herbst-Periode, vor ungefähr zweitausend Jahren. Es heißt, Liu habe einmal eine ganze Nacht lang eine nackte Frau in seinen Armen gehalten, ohne mit ihr zu schlafen. Konfuzius hatte eine sehr hohe Meinung von Liu, da es gegen die Gesetze des Konfuzianismus verstößt, mit einer anderen als der eigenen Ehefrau zu schlafen.«
»Sie brauchen mir diese Geschichten nicht zu erzählen«, sagte Wu. »Glauben Sie mir, oder lassen Sie’s bleiben, ich sage Ihnen jedenfalls die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit.«
»Wie konnte das Reisebüro Ihnen erlauben, ein gemeinsames Zimmer zu nehmen?« sagte Yu. »Damit ist man sehr genau. Ich will damit sagen, daß man seine Heiratsurkunde vorlegen muß. Sonst verliert das Reisebüro seine Konzession.«
»Guan hat darauf bestanden, und ich habe etwas besorgt, das uns auswies.«
»Wie haben Sie das bewerkstelligt?«
»Ich habe ein Blatt Papier mit dem Briefkopf der Zeitung genommen und darauf eine kurze Erklärung getippt, die besagte, daß wir verheiratet wären. Das ist alles. Wir mußten keine Heiratsurkunde vorlegen. Diese Reisebüros wollen Profit machen, so eine Erklärung reicht ihnen.«
»Es ist ein Verbrechen, eine Urkunde zu fälschen.«
»Hören Sie auf, Genosse Hauptwachtmeister Yu. Ein paar Wörter auf einem Papier mit offiziellem Briefkopf, und das nennen Sie Urkunde? Viele Leute machen das jeden Tag.«
»Es ist trotzdem illegal«, sagte Chen.
»Reden Sie mit meinem Vorgesetzten, wenn Sie wollen. Ich habe einen kleinen Trick angewandt, indem ich ein Blatt Papier mit dem offiziellen Briefkopf benutzt habe. Ich gebe zu, es war falsch. Aber deshalb können Sie mich ja wohl kaum verhaften, oder?«
»Guan war eine nationale Modellarbeiterin, ein Parteimitglied mit starkem politischem Bewußtsein und Teilnehmerin am zehnten Nationalkongreß unserer Partei«, sagte Yu, »und da wollen Sie uns glauben machen, daß sie das tat, nur um ein paar hundert Yuan zu sparen?«
»Und dafür, als unverheiratete Frau«, fügte Chen hinzu, »ein Zimmer mit einem verheirateten Mann zu teilen?«
»Ich habe mein Bestes getan, um Ihnen behilflich zu sein, Genossen«, sagte Wu. »Aber wenn Sie nur bluffen wollen, zeigen Sie mir Ihren Haftbefehl. Sie können mich aufs Präsidium mitnehmen.«
»Es ist ein wichtiger Fall, Genosse Wu Xiaoming«, sagte Chen. »Wir müssen alle überprüfen, die zu Guan in Beziehung standen.«
»Aber das ist alles, was ich Ihnen sagen kann. Ich bin mit ihr zusammen in die Berge gefahren. Das bedeutet gar nichts. Nicht in den neunziger Jahren.«
»Da ist aber noch mehr«, sagte Yu. »Welche Erklärung haben Sie für Ihren Anruf bei Guan an dem Abend, an dem sie ermordet wurde?«
»Dem Abend, an dem sie ermordet wurde?«
»Ja, am 10. Mai.«
»10. Mai, also, da muß ich
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