Qiu Xiaolong
daß ich sie brauche.«
Yu zog eine Zigarettenpackung heraus und zündete sich eine an, nachdem Jiang ihre Zustimmung signalisiert hatte. »Noch eine Frage, Genossin Jiang. Haben Sie irgend etwas von Guan Hongying gewußt, während Sie mit Wu zusammen waren? Haben Sie sie zum Beispiel in seiner Villa getroffen, oder hat er sie erwähnt?«
»Nein, soweit ich mich erinnere, nicht«, antwortete sie. »Aber ich wußte, daß es andere Mädchen gab.«
»Haben Sie die Beziehung aus diesem Grunde beendet?«
»Na ja, das denken Sie vielleicht, aber so war es nicht«, entgegnete sie und nahm eine Zigarette aus seiner Schachtel. »Ich habe mir von dieser Beziehung wirklich nichts versprochen. Er hatte sein Leben, ich hatte meines. Das hatten wir miteinander geklärt. Ich habe ihn ein paarmal wegen seiner anderen Freundinnen zur Rede gestellt, aber er schwor, daß er nur Fotos von ihnen mache.«
»Und das haben Sie ihm geglaubt?«
»Nein, habe ich nicht, aber ironischerweise haben wir uns wegen seinen Bildern getrennt.«
»Bilder von diesen Mädchen?«
»Ja, aber keine Bilder wie die künstlerischen Werke, die man in Zeitschriften sieht.«
»Ich verstehe«, sagte er, »aber wie sind Sie darauf gestoßen?«
»Durch Zufall. Während einer dieser Partys war ich mit ihm in seinem Zimmer, als er am Telefon seines Arbeitszimmers einen Anruf entgegennehmen mußte. Das Gespräch dauerte lange, und ich guckte, was in seiner Schublade war. Ich entdeckte ein Fotoalbum. Bilder von nackten Mädchen würde man ja erwarten, aber dies ging weit darüber hinaus – völlig obszön – die verschiedensten widerwärtigen Stellungen – sogar während des Geschlechtsverkehrs. Ich erkannte eines der Modelle wieder. Eine bekannte Schauspielerin, die jetzt mit einem amerikanischen Millionär im Ausland lebt. Auf dem Bild war sie geknebelt, lag mit gefesselten Händen auf dem Rücken, und Wus Kopf war zwischen ihren Brüsten vergraben. Es gab eine Menge solcher fürchterlicher Aufnahmen, ich hatte keine Zeit, sie mir alle anzusehen. Wu hatte sie wie professionelle Modefotos abgezogen, und er wollte mir einreden, daß es sich um Kunstwerke handele, aber das war nicht wahr.«
»Ungeheuerlich!«
»Noch ungeheuerlicher war die Art, wie er auf der Rückseite der Aufnahmen Buch führte.«
»Welche Art von Buchführung?«
»Es gibt eine Sherlock-Holmes-Geschichte, in der ein Sexualverbrecher Bilder der Frauen aufhebt, die er erobert hat, zusammen mit einer Beschreibung ihrer Stellungen, ihrer Geheimnisse und ihrer Präferenzen im Bett, die ganzen intimen Details über ihren Geschlechtsverkehr. Aber was sage ich, Hauptwachtmeister Yu, Sie kennen diese Geschichte bestimmt.«
»Oberinspektor Chen hat ein paar westliche Kriminalgeschichten übersetzt«, sagte Hauptwachtmeister Yu, der die Geschichte selbst nicht gelesen hatte, ausweichend. »Das können Sie mit ihm diskutieren.«
»Ach, wirklich? Ich dachte, er schreibt nur Gedichte.«
»Also, was könnte Wu mit diesen Bildern vorgehabt haben?«
»Keine Ahnung, aber er ist nicht einfach ein Don Juan, der seinem Ego schmeicheln möchte, indem er sich seine nackten Eroberungen anschaut.«
»Dieses Schwein«, fluchte Yu, dem auch Don Juan kein Begriff war.
»Mit einem Don Juan hätte ich leben können, aber dieser kaltschnäuzige Zynismus erschreckte mich wirklich. Deshalb beschloß ich, mich von ihm zu trennen.«
»Eine kluge Entscheidung.«
»Ich habe meine Arbeit.« Finster blickte sie zu Boden. »Ich wollte nicht in einen Skandal verwickelt werden. Jetzt habe ich Ihnen alles erzählt, was ich weiß.«
»Das sind wirklich wichtige Informationen. Sie haben uns sehr geholfen, Genossin Jiang. Wir werden sicherstellen, daß Ihr Name in den offiziellen Ermittlungsakten nicht genannt werden wird.«
»Danke.«
Sie erhob sich und begleitete Yu zur Tür. »Genosse Hauptwachtmeister Yu?«
»Ja?«
»Ich glaube, ich habe da noch etwas für Sie«, sagte Jiang, »aber ich muß Sie zuvor um einen Gefallen bitten.«
»Wenn es in meiner Macht steht …«
»Wu und ich haben Schluß gemacht. Gleichgültig, welchen Groll ich gegen ihn hege, ich möchte keine Steine in den Brunnen werfen, in dem er ertrinkt. Ich werde Ihnen deshalb nichts sagen, was ich nicht selbst gesehen oder gehört habe. Aber zufällig kenne ich eines der Mädchen, die Wu hatte, als wir uns trennten.«
»Wer ist sie?«
»Sie heißt Nina Jing. Wie Wu sie aufgerissen oder was er an ihr gefunden hat, weiß ich nicht. Vielleicht war
Weitere Kostenlose Bücher