Qiu Xiaolong
bei ihm zu Hause?«
»Selten. Es ist eine große Villa. Sie waren sicherlich dort. Sie wissen, wie es da ist.« Nach einer Pause fuhr sie fort: »Aber wenn wir zusammen waren, wollte ich das tun, wofür wir zusammen waren. Warum sollten wir also woanders hingehen, wo wir keine Privatsphäre hatten? Selbst wenn wir uns dort in einem der Zimmer eingeschlossen hätten, wäre ich nicht in Stimmung gewesen, weil da die ganze Zeit seine Leute herumliefen.«
»Sie meinen seine Frau?«
»Nein, die war eigentlich immer in ihrem Zimmer, sie ist bettlägerig. Es ist das Haus seines Vaters. Der alte Herr war zwar im Krankenhaus, doch seine Schwestern waren da.«
»Sie wußten also von Anfang an, daß er verheiratet war.«
»Er machte daraus kein Geheimnis, aber er sagte mir, daß diese Ehe ein Fehler gewesen sei. Ich glaube, das stimmte auch. In gewisser Hinsicht.«
»Ein Fehler«, wiederholte Yu. »Hat er Ihnen das näher erklärt?«
»Zum einen ist seine Frau schon seit einigen Jahren krank«, erläuterte sie. »Zu krank, um mit ihm eine normale sexuelle Beziehung zu haben.«
»Ja, und weiter?«
»Eine Heirat in jenen Jahren kann auch aus Vernunftgründen erfolgt sein. Die gebildeten Jugendlichen waren einsam, das Leben auf dem Land war äußerst hart, und sie waren sehr weit von ihrer Heimat entfernt.«
»Nun, davon verstehe ich nichts«, behauptete er und dachte an seine Jahre mit Peiqin in Yunnan. »Aber Sie hatten nichts gegen eine außereheliche Beziehung?«
»Hören Sie, Genosse Hauptwachtmeister Yu. Wir leben in einer neuen Zeit. Wer lebt denn noch nach den Büchern des Konfuzius? Ist eine Ehe glücklich, kann kein Außenstehender sie zerstören«, sagte sie und kratzte sich am Fußgelenk. »Im übrigen habe ich nie erwartet, daß er mich heiratet.«
Vielleicht war er ja ein altmodischer Mensch. Jedenfalls kam Yu sich alt vor neben dieser Malerin. Und dennoch verspürte er die Versuchung, sich ihren Körper unter dem lockeren Overall vorzustellen. Hatte das damit zu tun, daß er ihren Körper auf dem Bild gesehen hatte? Auch fiel ihm das schwarze Mal in ihrem Nacken auf.
»Aber wenn er in seiner Ehe so unglücklich ist, warum ist er dann noch verheiratet?«
»Ich weiß es nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß eine Scheidung gut für ihn wäre, im politischen Sinne, meine ich. Ich habe gehört, daß die Familie seiner Frau immer noch einflußreich sein soll.«
»Das stimmt.«
»Ich hatte auch das Gefühl, daß er sie auf seine Art gern hat.«
»Was war der Grund für Ihre Annahme.’’«
»Er erzählte mir von ihr. Sie hatte ihm in seinen schlimmsten Zeiten zur Seite gestanden, als er, ein gebildeter junger Mensch, von den Massen lernen sollte. Sie erbarmte sich seiner und kümmerte sich um ihn. Er sagte, wenn sie nicht gewesen wäre, wäre er völlig verzweifelt.«
»Sie muß früher sehr schön gewesen sein«, sagte Yu.
»Vielleicht nehmen Sie mir das nicht ab, aber einer der Gründe, warum ich ihn mochte, war der, daß er seiner Frau irgendwie die Treue hielt. Er war kein Mann, dem jedes Verantwortungsgefühl abgeht.«
»Mag sein«, sagte er. »Ich habe aber noch eine andere Frage. Verdient er mit diesen Bildern viel Geld? – Ich meine natürlich nicht die Bilder von seiner Frau.«
»Als Sohn eines hohen Parteikaders hat er sicher Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Einige Leute bezahlten ihm ein hübsches Sümmchen, zum Beispiel für ein Foto von sich im Roten Stern. Er muß von dem Verkauf der Fotos nicht leben. Soweit ich weiß, gibt er viel Geld für sich aus und ist seinen Freunden gegenüber kein Geizhals.«
»Was sind das für Freunde?«
»Leute aus ähnlichen Familien. Vögel von derselben Sorte, wenn Sie so wollen.«
»Also ein Haufen Prinzlinge«, knurrte Yu. »Und was machen die zusammen?«
»Sie feiern Partys in seinem Haus. Wilde Partys. Sie sagten immer, es wäre ein Jammer, in so einem Haus keine Party zu veranstalten.«
»Können Sie mir die Namen seiner Freunde geben?«
»Nur von denen, die mir auf diesen Partys ihre Karten gegeben haben«, sagte sie, während sie sich umdrehte und nach einem Kunststoffkasten im Regal langte.
»Das wäre phantastisch.«
»Hier sind sie.« Sie breitete einige Karten auf dem Tisch aus.
Er sah sie durch. Eine Karte war von Guo Qiang, dem Mann, der Wus Alibi für den 10. Mai bestätigt hatte. Auf einigen Karten standen beeindruckende Titel unter den Namen.
»Kann ich sie mir ausleihen?«
»Sicher. Ich glaube nicht,
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