Qiu Xiaolong
Kunst der Fotografie diskutieren?« fragte sie und richtete sich auf.
»Ich bin ein gewöhnlicher Polizist. Also interessiert mich an diesen Bildern nicht die Kunst, sondern etwas anderes.«
»Das kann ich verstehen«, entgegnete sie mit einem zynischen Lächeln. »Als Polizist haben Sie offenbar Recherchen unternommen.«
»Nein, die Ehre dafür gebührt zugegebenermaßen Oberinspektor Chen«, sagte er.
Hauptwachtmeister Yu wußte allerdings nicht, wie Oberinspektor Chen sie erkannt hatte.
»Wirklich?«
»Ja. Deshalb glauben wir, daß Sie vielleicht bereit wären, uns zu helfen.«
»Was wollen Sie über Wu wissen?«
»Alles, was Sie über ihn wissen.«
»Sie verlangen eine Menge«, sagte sie. »Aber warum?«
»Wir vermuten, daß Wu in einen Mord verwickelt ist. Es geht um den Fall Guan Hongying, die nationale Modellarbeiterin. Gegenwärtig finden Sonderermittlungen statt.«
»Ah – ich verstehe«, sagte sie, ohne daß ihr Gesicht überrascht wirkte. »Aber warum kommt Oberinspektor Chen nicht selbst, um mich zu verhören?«
»Er ist in Guangzhou und befragt dort eine Zeugin.«
»Sie müssen etwas über Wus familiären Hintergrund erfahren?«
»Deshalb brauchen wir Ihre Hilfe.«
Hauptwachtmeister Yu glaubte einen anderen Ton in der Stimme der Malerin und auch eine kaum merkliche Botschaft ihrer Körpersprache wahrzunehmen, während sie langsam mit ihrem Löffel im Kaffeebecher rührte, als sei sie dabei, etwas auszuloten.
»Sind Sie sich da völlig sicher?«
»Oberinspektor Chen hat Ihren Namen bewußt aus den offiziellen Akten herausgehalten. Er sagt, sie seien eine kluge Frau.«
»Soll das ein Kompliment sein?« Sie nahm einen großen Schluck Kaffee, wobei die Kaffeesahne an ihrer Oberlippe eine weiße Linie zurückließ. »Wie geht es eigentlich Ihrem Oberinspektor? Immer noch Junggeselle?«
»Ich glaube, er ist einfach zu beschäftigt.«
»Ich habe gehört, daß er in Peking eine Affäre gehabt haben soll. Das hat ihm das Herz gebrochen.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Yu. »Er hat mit mir nie darüber gesprochen.«
»Oh, ich weiß darüber auch nicht viel. Es ist schon so lange her«, sagte sie mit einem unergründlichen Lächeln auf den Lippen. »Also, wo fangen wir an?«
»Ganz am Anfang, bitte.«
»Zuerst möchte ich etwas klarstellen. Das Ganze spielt in der Vergangenheit. Ich habe Wu vor zwei Jahren kennengelernt, und ein Jahr später waren wir wieder auseinander. Ich möchte das betonen, aber nicht wegen seiner möglichen Verwicklung in einen Mordfall.«
»Verstanden«, sagte Yu. »Also, wie haben Sie ihn kennengelernt?«
»Er kam zu mir und sagte, er wolle ein Foto von mir machen. Für eine seiner Zeitschriften.«
»Ich wette, nur wenige würden ein derartiges Angebot ablehnen.«
»Wer würde nein sagen, wenn von einem kostenlos Fotos gemacht und veröffentlicht werden?«
»Die Bilder wurden also veröffentlicht?«
»Ja, es stellte sich heraus, daß die Bilder sehr gut waren«, sagte sie. »Um gerecht zu sein, Wu ist ein begabter Fotograf. Er hat den Blick dafür und auch das Gespür. Er weiß, wann und wo er eine Aufnahme machen muß. Viele Zeitschritten reißen sich um seine Arbeiten.«
»Was geschah danach?«
»Na ja, wie sich herausstellte, hatte er mich eher aus persönlichen als aus beruflichen Gründen angesprochen, wie er mir bei einem Mittagessen sagte. Ob Sie es glauben oder nicht, er hat auch mir Modell gesessen. Eins führte zum anderen. Sie wissen ja, wie so was geht.«
»Ein romantisches Techtelmechtel?«
»Ist das eine höfliche Umschreibung.’’«
»Wie meinen Sie?«
»Wollen Sie damit fragen, ob wir miteinander geschlafen haben?«
»Nun, war es eine ernste Beziehung?«
»Was verstehen Sie darunter?« fragte Jiang. »Wenn das heißt, daß Wu Xiaoming mir einen Heiratsantrag gemacht hat, dann nicht. Aber wir hatten eine gute Zeit zusammen.«
»Die Menschen bedienen sich verschiedener Definitionen«, sagte er, »aber fragen wir mal so, haben Sie sich oft gesehen?«
»Nicht oft. Als Chefredakteur des Roten Stern mußte er manchmal nach Peking oder in andere Städte reisen, ein- oder zweimal sogar ins Ausland. Und ich ha be auch sehr viel zu tun. Aber wenn wir Zeit hatten, waren wir zusammen. In den ersten paar Monatenkam er oft hierher, zwei- oder dreimal die Woche.«
»Tagsüber oder nachts?«
»Beides, aber er blieb nur selten die ganze Nacht hier. Er hatte ein Auto, das seines Vaters, wissen Sie. Das war bequem für ihn.«
»Waren Sie jemals
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