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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Tempel war.
    Der Basar um den Tempel herum bestand aus einer Vielzahl von Lädchen, die zahlreiche einheimische Produkte anboten. Das Besondere jedoch waren die unzähligen chinesischen Imbißstände, Kneipen und Garküchen. Als er noch auf der Mittelschule war, hatte Chen einmal den Überseechinesen Lu und den Vieräugigen Jiang zu einem ehrgeizigen Vorhaben eingeladen: an einem einzigen Nachmittag jeden einzelnen Imbißstand auszuprobieren. Ihre Taktik bestand darin, alles zu teilen, jeder nahm nur einen kleinen Bissen. So versuchten sie an einem Nachmittag Hühner- und Entenblutsuppe, Rettichkuchen, Krabben- und Fleischbällchen, Nudeln in Rinderbrühe, gebratenen Tofu und Nudeln und vieles mehr. Sie hatten es nicht geschafft. Auf halber Strecke war ihnen das Geld ausgegangen. Aber das war einer ihrer glücklichsten Tage gewesen.
    Der Vieräugige Jiang hatte sich während der Kulturrevolution in einem Brunnen ertränkt, Überseechinese Lu hatte jetzt sein Restaurant, und er, er war Oberinspektor.
    Damals war er nicht im Teehaus im Herzen des Sees gewesen, doch er wußte, daß es ein zweigeschossiges Gebäude war, das die Form einer Pagode hatte und inmitten eines künstlich angelegten Sees gegenüber dem Restaurant Kranich und Kiefer lag. Eine Steinbrücke mit neun Biegungen und einer Treppe führte zum Teehaus. Er bahnte sich den Weg über die Brücke, auf der an jeder Biegung Touristen standen: Sie zeigten auf die Lotosblumen, die im leichten Wind schwankten, fütterten die zwischen den Blumen hin- und herzuckenden Goldfische mit Brotkrumen oder posierten für Fotoaufnahmen mit dem Teehaus im Hintergrund.
    Im Erdgeschoß gab es nur wenige Teetrinker. Chen sah sich um, ohne den Alten Jäger zu sehen, und ging eine Treppe mit hellrot gestrichenem Geländer hoch. Im oberen Stockwerk waren noch weniger Gäste, und er sah den alten Mann am Fenster vor einer Teekanne sitzen.
    »Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, Genosse Oberinspektor«, sagte der alte Mann und winkte Chen heran, der sich auf einen Stuhl neben ihn setzte.
    »Danke sehr«, sagte Chen. »Das ist aber elegant hier.«
    Von ihrem Tisch aus konnten sie den See mit seinen Lotosblumen sehen. Die Sicht war klar.
    »Im ersten Stock ist alles doppelt so teuer, aber das ist es wert. Eine Schale Tee hier oben ist der einzige Luxus, den ich mir seit meiner Pensionierung leiste.«
    Chen nickte. Eine Schale Tee hier war etwas anderes als eine in dem vollgestopften, stickigen Zimmer, in dem sich das Leben des alten Herrn abspielte, seit er das vordere Zimmer an seinen Sohn abgetreten hatte.
    Im Teehaus hörte man leise Bambusflötenmusik, die wohl irgendwo von einem Tonbandgerät abgespielt wurde. Ein grauhaariger Kellner goß aus einer schweren, glänzenden Messingkanne in einem anmutigen Bogen Wasser in die Schale, die vor Chen stand. Im alten China nannte man die Kellner, die in Teehäusern arbeiteten, Teegelehrte, und das Teehaus war ein Ort nicht nur des täglichen Informationsaustausches, sondern auch der Kultivierung des Geistes.
    »Mir ist bekannt, daß Sie einen guten Tee schätzen«, sagte der Alte Jäger. »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, ohne zu herablassend zu klingen, Genosse Oberinspektor, aber es gibt nicht allzu viele Menschen, mit denen ich bereit bin, Tee zu trinken.«
    »Danke sehr«, erwiderte Chen.
    Das stimmt, dachte er. Der alte Herr war immer auf seine Art stolz gewesen, aber umgänglich. Und er hatte ihm immer geholfen.
    »Ich habe etwas für Sie, Genosse Oberinspektor. Da ich Guangming nicht zu fassen bekomme, kann ich es ja auch Ihnen erzählen.«
    »Er ist so beschäftigt«, sagte Chen. »Ich habe ihn heute auch noch nicht gesehen.«
    »Arbeitet er an dem Fall dieser Modellarbeiterin?«
    »Ja, aber was gibt es denn?«
    »Es geht eigentlich gar nicht um Guangming, sondern um den Fall. Guangming hat mit mir darüber gesprochen. Ich bin kein Außenstehender, wissen Sie. Ich habe einige Informationen dazu.«
    »Also wirklich, alter Ingwer ist würziger als junger, Onkel Yu«, sagte Chen. »Sie haben sicher ein Händchen dafür, an Informationen zu kommen.«
    »Eine Frau namens Jiao Nanhua hat mir erzählt, daß Guan kurz vor ihrem Tod eine Affäre hatte.«
    »Wer ist Jiao Nanhua?«
    »Eine Frau, die an der Ecke der Straße, in der Guan wohnte, vor dem Lebensmittelladen Teigtäschchen verkauft. Sie trägt buchstäblich alles, was sie dafür braucht, an einer Bambusstange mit sich. Am einen Ende der Stange einen Ofen und einen Topf

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