Qiu Xiaolong
aber woher…?« Chen hielt mitten im Satz inne.
»Es ist phantastisch dort«, fuhr Peiqin fort. »Sie haben sich eine Pause bei einer Karaoke-Party verdient.«
»Danke sehr.«
»Machen Sie’s gut. Bis später.«
»Danke, Sie auch. Auf Wiedersehen.«
Warum hatte sie es plötzlich so eilig, das Gespräch zu beenden? Wurde ihr Restaurant auch abgehört?
Das war kaum anzunehmen. Ihr Restaurant: nicht – aber möglicherweise sein Hotel. Deswegen hatte er sie auch nicht von dort aus angerufen. Peiqin mußte sich gewundert haben. Er hätte ihr sagen sollen, daß er von einem Münztelefon auf dem Markt des Stadtgott-Tempels anrief.
Dann wählte er die Nummer des Überseechinesen Lu.
Lu hatte Chen nach seiner Rückkehr aus Guangzhou im Büro angerufen. Um Lu nicht in Schwierigkeiten zu bringen, hatte Chen Lu unterbrochen und dringende Geschäfte vorgeschützt, um das Gespräch abzukürzen. Das Amtstelefon war zu unsicher.
»Moscow Suburb.«
»Ich bin’s. Chen Cao.«
»Ach, alter Junge! Ich habe mir wirklich schreckliche Sorgen gemacht. Ich weiß jetzt, warum du mich neulich abgewimmelt hast.«
»Zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Ich bin immer noch Oberinspektor. Es gibt keinerlei Grund zur Besorgnis.«
»Wo steckst du denn? Was ist das für ein Lärm im Hintergrund?«
»Das ist der Markt des Stadtgott-Tempels. Ich rufe von einem Münztelefon an.«
»Wang hat mich wegen deiner Probleme angerufen. Sie sagt, es ist ernst.«
»Wang hat dich angerufen?!« rief er aus. »Ich weiß ja nicht, was sie dir erzählt hat, aber ernst ist es nicht. Ich hatte gerade einen köstlichen Brunch mit meinen Amerikanern, und als nächstes werden wir eine Fahrt auf dem Fluß genießen. Erster Klasse natürlich, für unsere amerikanischen Gäste. – Aber ich muß dich um einen Gefallen bitten.«
»Nämlich?«
»Es wird vielleicht jemand Kontakt mit dir aufnehmen, genauer gesagt, die Frau meines Kollegen. Sie heißt Jin Peiqin. Sie arbeitet im Restaurant Vier Meere.«
»Das kenne ich. Die Krabbennudeln dort sind hervorragend.«
»Und ruf mich nicht an, weder im Büro noch im Hotel! Wenn es irgend etwas Dringendes gibt, ruf Peiqin an oder geh zu ihr in das Restaurant. Kannst ja eine Schüssel Nudeln verdrücken, während du dort bist.«
»Mach dir keine Gedanken«, meinte Lu. »Ich bin als Feinschmecker bekannt. Niemand hätte etwas dagegen, wenn ich dort meine Nudeln äße.«
»Man kann nicht vorsichtig genug sein«, warnte Chen.
»Ich versteh schon.« Dann setzte Lu hinzu: »Aber könntest du zu mir kommen? Ich möchte etwas mit dir besprechen. Es ist wichtig.«
»Ja? Die letzten Tage hatte ich so viel um die Ohren«, sagte Chen. »Ich muß erst im Besuchsprogramm nachsehen. Mal schauen, was sich machen läßt.«
Für den Nachmittag war die Fahrt auf dem Huangpu geplant.
Für Chen war sie nichts Neues, nachdem er schon mehrere Male als Reisebegleiter fungiert hatte. Es machte ihm nichts aus, ganze Passagen aus offiziellen Reiseführern vorzulesen, weil er bei der Gelegenheit sein Englisch üben konnte. Es war nur so, daß ihn die Besuchsprogramme durch die Wiederholung immer mehr langweilten. Doch als sie zum Fahrkartenschalter kamen, vor dem sich schon eine lange Schlange gebildet hatte, fand Chen an seinem Status als Reisebegleiter auf einmal nichts mehr auszusetzen – hinter einem anderen, kleinen Schalterfenster mit der Aufschrift »Für ausländische Touristen« lagen die Fahrkarten schon bereit.
Während sie im Hafengelände standen und die verschmutzte Luft einatmeten, hörte er, wie Professor Rosenthal seiner Frau leise von chronischen Kohlenmonoxidvergiftungen in der Stadt erzählte. Noch ein ernstes Problem, mußte Chen sich eingestehen, wenngleich Shanghai in letzter Zeit ernsthafte Anstrengungen unternommen hatte, die Umweltsituation zu verbessern. Mit Rücksicht auf den offiziellen Reiseführer enthielt Chen sich eines Kommentars.
Wie immer in solchen Fällen, hatten die ausländischen Gäste eine eigene Kabine auf dem Oberdeck des Schiffes bekommen. Der Raum war mit Klimaanlage und Satellitenfernsehen ausgestattet. Es lief gerade ein Kung-Fu-Film aus Hongkong mit Bruce Lee – noch ein vermeintliches »Privileg«, da Bruce Lee in den Shanghaier Kinos nicht zu sehen war. Die Rosenthals zeigten kein Interesse an dem Film; es dauerte lange, bis Chen den Knopf zum Abschalten des Geräts gefunden hatte.
Aber sie konnten sich nicht lange ihrem Gespräch hingeben; denn wieder wurde an die Tür
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