Qiu Xiaolong
der Tanzfläche preßte sie ihren großen, schlanken Körper an den seinen.
Yu war kein begnadeter Tänzer. Er hatte im Rahmen seiner Berufsausbildung auch einen Tanzkurs besucht, aber mit der praktischen Anwendung haperte es. Das Mädchen war fast so groß wie Yu. Sie trug ein schwarzes Hemd und schwarze Pumps und tanzte verschlafen, so als sei sie eben erst aus dem Bett gekommen. Trotz Yus Unbeholfenheit führte sie ihn geschickt, wobei sie ihm etwas ins Ohr flüsterte und ihn mit den Brüsten streifte. Er nickte, und sie begann, mit den Fingern zu schnippen und sich in den Hüften zu wiegen.
»Geiles, schamloses Flittchen!« schimpfte Peiqin vor sich hin. Yu machte sie keine Vorwürfe: Er konnte es sich nicht leisten, durch Desinteresse Mißtrauen zu wecken; trotzdem war es nicht angenehm für sie, ihm zuschauen zu müssen.
Auf dem Bambuspodium wechselte jemand die Musikkassette. Wilde Dschungelmusik ertönte aus unsichtbaren Lautsprechern – lauter Trommeln und Flöten –, und noch mehr Menschen drängten auf die Tanzfläche.
In der kurzen Pause vor der nächsten Nummer ging Peiqin zur Bar, um sich selbst etwas zu trinken zu holen. Yu beugte sich über den Tisch und redete auf das große Mädchen ein. Sie lächelte ihn verführerisch an, die langen Beine gekreuzt, so daß ein Stück blanker weißer Oberschenkel freilag.
Peiqin stand nur wenige Schritte entfernt und starrte die zwei an. Sie wußte, daß es kindisch von ihr war, aber sie fühlte sich unbehaglich – auf eine blöde Weise unbehaglich.
Plötzlich kam wie aus dem Nichts ein junger Mann mit bräunlichem Schnauzbart auf sie zu. Er verbeugte sich, murmelte etwas, das wie eine Aufforderung klang, und grapschte nach ihrer Hand, bevor sie irgend etwas sagen konnte. Nervös folgte sie ihm auf die Tanzfläche. Sie bewegte sich mit ihm, drehte sich mechanisch, aber rhythmisch zur Musik und versuchte im übrigen, Distanz zu halten.
Ihr Partner, groß, muskulös und braungebrannt, war Mitte Zwanzig; er trug ein Polohemd, ein Paar Jeans und um das Handgelenk ein dickes goldenes Kettchen. Er sah nicht übel aus und war kein Grobian. Warum wollte so ein junger Mann mit einer fast doppelt so alten Frau tanzen? Peiqin war verwirrt.
Sie konnte seinen Atem riechen. Er roch nach Bier.
»Es ist das erste Mal«, sagte sie. »Ich habe noch nie getanzt.«
»Kommen Sie, da ist doch nichts dabei!« versetzte er und ließ seine Hand ihre Hüfte hinabgleiten. »Bleiben Sie einfach in Bewegung. Überlassen Sie Ihren Körper ganz der Musik.«
Vor lauter Aufregung trat sie ihm auf die Zehen.
»Sie haben leider vergessen zu erwähnen, was ich mit meinen Füßen machen soll«, sagte sie entschuldigend.
»Für das erste Mal machen Sie es sehr gut«, sagte er gönnerhaft.
Als er sie in immer schnellerem Tempo herumwirbelte, begann sie loszulassen. Mit einem Blick über seine Schultern sah sie, wie das große Mädchen schlangengleich die Arme um Yus Hals gelegt hatte.
»Na, es geht doch!« Der junge Mann schenkte Peiqin ein breites Grinsen, als die Musik abbrach. »Sie müssen sich nur gehenlassen. Sie machen es sehr gut.« Er ging fort, um Getränke zu holen. Peiqin war erleichtert, als sie sah, wie an der Theke ein Mädchen auf ihn zutrat und an seinem Goldkettchen zupfte.
Peiqin steuerte durch die Menschenmenge wieder ihren Tisch an. Sie versuchte, sich so unauffällig wie möglich zu machen, was aber nicht verhinderte, daß sie immer wieder Yu in der Gesellschaft einer anderen Frau sah.
In dem Moment erkannte sie Oberinspektor Chen, der in Begleitung des amerikanischen Ehepaars hereinkam.
Das amerikanische Ehepaar wagte sich auch auf die Tanzfläche. Trotz ihres Alters begannen die zwei, graziös ihre Kreise zu ziehen. Chen blieb allein am Tisch sitzen, im gelblich flackernden Licht einer kleinen Kerze.
Er war so anders als Yu, dachte Peiqin, eigentlich in jeder Hinsicht sein Gegenteil. Und dennoch waren sie Freunde geworden.
Sie stand auf und ging zu seinem Tisch. Sein Gesicht drückte Überraschung aus, das sah sie, aber er hatte sich gleich gefaßt und erhob sich.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?« fragte sie.
»Es ist mir eine Ehre.« Und flüsternd setzte er hinzu: »Was führt Sie her?«
»Die Eintrittskarten, die Sie Guangming geschenkt haben. Er ist auch da, aber er will, daß ich mit Ihnen spreche.«
»Aber das hätte er nie …« Chen hielt inne, bevor er mit gewöhnlicher Stimme fortfuhr: »Sie sind wunderbar.«
Sie merkte, daß diese Worte
Weitere Kostenlose Bücher