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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Familie sich von seinem Fahrer herumkutschieren lief. Wu Xiaoming hatte sich also erboten, selbst zu fahren, und als Grund die täglichen Krankenhausbesuche bei seinem Vater vorgeschoben. Aber wer hatte den Wagen gefahren, als Wu in Peking war?
    Diesen Fahrer zu ermitteln, war dem Überseechinesen Lu nicht gelungen. Auch seine wiederholten Versuche, mit Ouyang in Guangzhou Kontakt aufzunehmen, waren fruchtlos geblieben. Ouyang war nicht zu Hause. Das konnte bedeuten, daß auch Ouyang Schwierigkeiten bekommen hatte – wie Xie. Die Innere Sicherheit war zu allem fähig.
    Angesichts der jüngsten Informationen über Wus Antrag auf ein amerikanisches Visum hielt Chen das Warten nicht mehr aus. Er mußte mit Parteisekretär Li sprechen.
    Trotz seines hohen Ranges hatte Li die Angewohnheit, sich jeden Morgen um Viertel nach elf aus dem Boilerraum heißes Wasser für seinen Tee zu holen. Und so stand auch Chen um Viertel nach elf mit seiner Thermosflasche am Boiler. Es war ein Ort des ständigen Kommens und Gehens. Die Begegnung würde wie zufällig sein.
    Im Boilerraum waren schon einige andere Leute mit dem Füllen ihrer Thermoskannen beschäftigt. Li begrüßte jeden von ihnen herzlich, bevor er sich Chen zuwandte. »Wie geht es Ihnen, Genosse Oberinspektor Chen?«
    »Danke, es geht mir gut, außer daß ich untätig bin.«
    »Machen Sie eine Pause. Sie sind gerade erst zurückgekommen.« Und während er sich vorbeugte, um seine Thermosflasche aufzunehmen, preßte Li zwischen den Zähnen hervor: »Haben Sie gefunden, wovon wir das letztemal sprachen?«
    »Was denn?«
    »Sobald Sie es gefunden haben«, sagte Li, »kommen Sie in mein Büro.«
    Und damit hatte er sich schon mit seiner Thermosflasche zur Treppe gewandt.
    Das Motiv.
    Danach hatte Li gefragt, als Chen das letztemal bei ihm im Büro gewesen war. Chen mußte das Motiv finden. Es war zwecklos, im Boilerraum noch über irgend etwas anderes zu diskutieren. Politik hin oder her, weitere Ermittlungen waren nur zu rechtfertigen, wenn er Wus Motiv kannte.
    Chen ging in Gedanken noch einmal alles durch. Wenn Wu mit Guan hatte Schluß machen wollen, war sie nicht in der Position, ihn daran zu hindern. Sie war der Eindringling – die andere Frau –: eine berüchtigte Figur im ethischen System Chinas. Sie hätte sich in einer gesellschaftlich geächteten Position befunden. Außerdem hätte die Aufdeckung von Wus Seitensprung ihren politischen Selbstmord bedeutet. Selbst wenn sie verzweifelt genug gewesen wäre, alles an die Öffentlichkeit zu bringen, hätte das wahrscheinlich zu nichts geführt. Wu hatte eine Affäre mit einer anderen Frau gehabt, aber er wollte sie beenden. Aber war das so schlimm? Wie Parteisekretär Li betont hatte, wurde eine Affäre heutzutage nicht mehr als allzu schwerwiegender politischer Lapsus gewertet. Bei der Bedeutung und den Beziehungen seiner Familie wäre Wu ungeschoren davongekommen.
    Sie konnte keine wirkliche Gefahr für Wu dargestellt haben, nicht einmal zu einem Zeitpunkt, als seine Beförderung anstand.
    Andererseits war Guan nicht irgendein Provinzmädchen, sondern eine nationale Berühmtheit. Wu mußte gewußt haben, daß ihr Verschwinden Ermittlungen auslösen würde, die auf seine Spur führen konnten, so geheim sie ihre Beziehung auch gehalten hatten. Wu war zu klug, um sich darüber nicht im klaren gewesen zu sein.
    Warum war er also ein derartiges Risiko eingegangen?
    Guan mußte aus irgendeinem Grund eine viel ernstere Bedrohung für ihn dargestellt haben – welche Bedrohung, das hatte Oberinspektor Chen noch nicht herausgefunden.
    Und bevor er das nicht wußte, konnte Chen sich nur damit beschäftigen, die neuesten Verlautbarungen der Partei zu studieren, die ihm ins Büro gebracht worden waren. Eine betraf die steil ansteigende Verbrechensrate im Lande und den Aufruf des Zentralkomitees an alle Parteigenossen, dagegen vorzugehen. Auch waren diverse Formulare für das bevorstehende Seminar des Zentralinstituts der Partei auszufüllen, obgleich er bezweifelte, daß er es überhaupt würde besuchen können.
    Frustriert kramte er das Buch seines Vaters hervor. Er hatte noch nicht darin gelesen, seit er es gekauft hatte. Ein schwieriges Buch, wie er wußte. Er blätterte zum Ende des Buches, einem Epilog in Form einer Fabel, die den Titel trug »Die Ziege aus der Jin-Dynastie«.
    Kaiser Yan aus der Jin-Dynastie hatte viele kaiserliche Konkubinen und eine Lieblingsziege. Nachts ließ der Kaiser, wenn er durch das Meer von

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