Qiu Xiaolong
Kampf gegen den Krebs zu verlieren. Chens Mutter hatte ihm davon erzählt.
Das Schloß an Guans Tür war nicht ausgetauscht worden. Chen hatte noch immer den Schlüssel. Er trat ein und verschloß die Tür hinter sich. Das Licht machte er nicht an; statt dessen nahm er eine Taschenlampe zur Hand. Er stand in der Mitte des Zimmers. Es gab etwas, das er finden wollte. Etwas, das für die Auflösung des Falles entscheidend war. Falls es jemals dagewesen war, konnte es inzwischen verschwunden sein. Wu konnte hiergewesen sein, die fragliche Sache aufgespürt und beiseite geschafft haben – hatte nicht eine der Nachbarinnen einen Mann erwähnt, der möglicherweise aus Guans Zimmer gekommen war? Vielleicht hätte Chen gründlicher suchen, sich an einen Experten von der Spurensicherung wenden sollen. Aber sie waren so chronisch unterbesetzt, daß der Aufwand nicht der Mühe wert schien. Das kleine Zimmer konnte nicht viel verbergen.
Wenn Guan den Wunsch gehabt hätte, etwas vor Wu zu verstecken – wohin hätte sie es getan?
Alle naheliegenden Verstecke hatte Oberinspektor Chen schon überprüft.
Er ließ den Schein der Taschenlampe durch das Zimmer gleiten, ohne ihn bewußt zu steuern – eine mühelose Mühe, wie sie das Tao Te Ching empfahl. Endlich blieb der Strahl an dem gerahmten Bildnis des Genossen Deng Xiaoping an der Wand hängen.
Chen wußte nicht, warum der Lichtkegel gerade dort innehielt. Er starrte das nunmehr hellbeleuchtete Porträt an. Für das kleine Zimmer war es ein riesiges Bild, aber da es sich um das Porträt eines nationalen Führers handelte, waren solche Dimensionen nichts Außergewöhnliches, ja es war eigentlich das Standardformat. In Chens eigenem winzigem Büro hing ein ähnlicher Schinken.
Zu Zeiten des Vorsitzenden Mao war es eine politische Notwendigkeit gewesen, ein großen Mao-Porträt aufzuhängen und davor sein Morgen- und Abendgebet zu verrichten. Ihm fielen die bekannten Zeilen aus einer modernen Peking-Oper ein: »Unter dem Bildnis des Vorsitzenden Mao erfüllt mich neue Kraft.« Daher mußte auch der Rahmen nach einem speziellen Entwurf gearbeitet sein: Für den gottgleichen Mao kam nur ein goldener Rahmen in Betracht. Anders unter Deng. Nachdem er in den Ruhestand getreten war, hatte er sich als »ein gewöhnliches Mitglied der Partei« bezeichnet – so meldeten es die Zeitungen. Das Deng-Porträt im Wohnzimmer war keine politische Notwendigkeit. Der Rahmen in Guans Zimmer war hellrosa und fein ziseliert. Vielleicht hatte sie den Rahmen ursprünglich für sich selbst bestimmt und dann Deng gewidmet. Das Bild zeigte ihn mit hochgeschlossenem grauem Mao-Anzug vor einer Chinakarte, die Stirn zerfurcht und in Gedanken versunken saß er in einem Sessel, eine Zigarette in der Hand, den mächtigen Spucknapf aus Messing zu seinen Füßen.
Chen rückte einen Stuhl an die Wand und stieg hinauf. Er hob das gerahmte Porträt vom Haken und legte es, mit dem Gesicht nach unten, auf den Boden. Mehrere Klammern hielten den Karton im Rahmen fest. Sie ließen sich leicht zurückbiegen. Vorsichtig hob er den Karton hoch.
Zum Vorschein kam, in Zellstoff eingeschlagen, ein Stoß Fotos. Er wickelte sie aus und legte sie auf den Tisch.
Er starrte sie an – oder sie ihn.
Die ersten Fotos zeigten Guan in komplizierten Posen, nackt oder halbnackt, den Körper überlegt arrangiert. Das lange Haar bedeckte die Brüste, der Körper war halb verhüllt von einem Badetuch oder von einer Zeitung mit ihrem Foto als frisch gekürte nationale Modellarbeiterin. Auf einem anderen Foto lag Guan nackt auf einem braunen Teppich vor einem Kamin. Das zuckende Feuer beleuchtete die Kurven ihres Körpers – die Hände auf dem Rücken gefesselt, im Mund einen Knebel, die Beine weit gespreizt. Chen erkannte den Kamin. Es war der grüne Marmorkamin aus Wus Wohnzimmer.
Auf den nächsten Fotos sah man Guan mit Wu, beide ganz nackt. Eines zeigte Guan auf Wus Schoß, sie lächelte nervös in die Kamera. Ihre Arme waren um seinen Hals geschlungen, während seine Hände auf ihren Brüsten lagen. Auf dem nächsten Foto hatte sie sich umgedreht und zeigte ihre Gesäßbacken, die Wu mit seinen Händen umspannte, die nackten Füße wirkten übergroß. Auf den übrigen Bildern sah man verschiedene Varianten des Geschlechtsverkehrs: Wu, wie er von hinten in sie eindrang, sein Glied in der Rundung ihres Hinterns verschwand, die freie Hand gegen ihre birnenförmigen Brüste gepreßt; Guan, wie sie sich unter Wu aufbäumte, die
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