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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Arme um seinen Rücken geklammert, das Gesicht vom Orgasmus verzerrt gegen das Kissen gewendet; Wu, wie er, ihre Beine auf seinen Schultern, in sie eindrang …
    Zu Chens Verblüffung gab es auch ein Bild von Guan mit einem anderen Mann, der in einer Stellung von inszenierter Obszönität auf ihr saß. Das Gesicht des Mannes war halb verdeckt, aber es war nicht Wu. Guan lag auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt und die Augen wie in Ekstase geschlossen.
    Dann kamen einige Bilder von Wu mit anderen Frauen – auf dem Bett, auf dem Kaminvorleger, auf dem Fußboden, in verschiedenen Posen, vom Erotischen bis zum Obszönen. Ein Bild zeigte Wu beim Sex mit drei Frauen gleichzeitig.
    Eine von ihnen glaubte Chen wiederzuerkennen, eine Filmschauspielerin, die eine begabte Kurtisane aus der Ming-Dynastie verkörpert hatte.
    Chen entdeckte ein paar Stichworte auf der Rückseite der Fotos.
    »14. August. Zwischen ekstatisch und ohnmächtig vor Angst. In fünf Sekunden den Schlüpfer abgestreift. Eindringen vaginal von hinten.«
    »23. April. Eine Jungfrau. Naiv und nervös. Blutete und quietschte wie ein Schwein; wand sich wie eine Schlange.«
    »Im Film eine Heilige, sonst eine Schlampe.«
    »War nach dem zweiten Höhepunkt buchstäblich weg. Tot, kalt. Kam erst nach zwei Minuten wieder zu sich.«
    Das letzte Bild zeigte wieder Guan: Das Gesicht mit einer Maske verdeckt, war sie, ganz nackt, an die Wand gefesselt und starrte mit einem Ausdruck zwischen Beklemmung und Lüsternheit in die Kamera.
    Ein Modell für eine Maske.
    Oder: eine Maske für ein Modell.
    Auf der Rückseite des Fotos stand in kleiner Schrift: »Nationale Modellarbeiterin, drei Stunden nach einer Ansprache in der Stadtregierung.«
    Oberinspektor Chen verspürte Übelkeit. Er mochte nicht mehr weiterlesen.
    Er war kein Sittenrichter. Bei allen neokonfuzianischen Grundsätzen, die ihm sein verstorbener Vater mitgegeben hatte, empfand er sich nicht als traditionsverhaftet oder prüde. Aber diese Bilder mit diesen Kommentaren waren zuviel für ihn. Plötzlich sah er ein Bild vor seinem geistigen Auge: Guan, auf dem harten hölzernen Bett liegend, keuchend, sich aufbäumend und windend unter den Stößen des Mannes, und über ihr das gerahmte Porträt des Genossen Deng Xiaoping in seinem großen Sessel, wie er über die Zukunft Chinas nachsann.
    Chen hörte sich stöhnen.
    Das Ganze hatte etwas Unwirkliches. Oberinspektor Chen hatte endlich gefunden, wonach er so hartnäckig gesucht hatte: das Motiv.
    Jetzt fügten sich die einzelnen Teile zusammen. Gegen Ende ihrer Beziehung hatte Guan sich die Bilder verschafft, mit denen sie zunächst von Wu erpreßt worden war, die sie aber später selbst benutzt hatte, um ihm zu drohen. Sie war sich bewußt, wie schädlich diese Bilder für ihn sein konnten, zumal jetzt, wo er vor einer wichtigen Beförderung stand. Sie ahnte, daß Wu versuchen würde, sie sich zurückzuholen. Deshalb hatte Guan die Bilder vor ihm versteckt.
    Doch sie hatte nicht mit Wus Verzweiflung gerechnet. Darum hatte sie sterben müssen. Wus politische Karriere befand sich in einer entscheidenden Phase. Angesichts der schweren Erkrankung seines Vaters war dies vielleicht seine letzte Chance, vorwärtszukommen. Ob Skandalaffäre oder Scheidung, beides hätte seine Chancen beeinträchtigt. Es blieb ihm keine andere Wahl, als Guan für immer zum Schweigen zu bringen.
    Oberinspektor Chen steckte die Fotos in die Tasche, hängte das Deng-Porträt wieder an die Wand und knipste die Taschenlampe aus.
    Als er aus der Unterkunft hinausspähte, sah er einen einsamen Mann müßig herumstehen; er warf einen langen Schatten auf die Straße. Chen beschloß, lieber den Ausgang auf eine andere Gasse zu benutzen. Sie führte zu einer Nebenstraße, die nur einen Häuserblock vom Zhejiang-Lichtspieltheater entfernt war.
    Scharen von Menschen strömten aus dem Gebäude und schwatzten miteinander über den neuen Dokumentarfilm, der die Wirtschaftsreformen von Shenzhen behandelte. Doch seine Gedanken waren von Guan erfüllt, deren persönliches Drama ihm näherging als alle politischen Dramen zusammen.
    Am Anfang seiner Ermittlungen hatte Chen sich darin gefallen, in Guan das bedauernswerte Opfer zu sehen. Die Alabasterstatue, die ein böser Stoß zerschmettert hatte. Am 11. Mai 1990 war sie von Wu ermordet worden, aber ein Opfer war sie schon lange vorher gewesen – ein Opfer der Politik. Und eine unschuldige, passive Statue war sie auch nicht. Sie war selbst

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