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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Besessener zu arbeiten.
    Soeben hatte er ein unerwartetes Geschenk aus Peking erhalten, wohl eine Antwort auf seine Kopie der Wenhui-Zeitung: eine kostbare Gedichtsammlung von Yan Shu als handgebundene Reispapierausgabe in einer mit tiefblauem Stoff überzogenen Schachtel, in der auch noch ein kleiner Brief gelegen hatte: Oberinspektor Chen:
    Danke für Ihr Gedicht. Es gefällt mir ausgezeichnet. Leider kann ich mich nicht mit einem eigenen Gedicht revanchieren. Vor ein paar Wochen fiel mir auf dem Liulichang-Antiquitätenmarkt eine Sammlung von Yan Shus Gedichten in die Hände, und ich dachte, diese würden Ihnen gefallen. Außerdem herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Beförderung!
    Ling
    Natürlich gefiel sie ihm. Er erinnerte sich an seine Streifzüge durch die Liulichang, damals als armer Student am Fremdspracheninstitut; wie oft hatte er sehnsüchtig die alten Bücher beäugt, ohne sich auch nur eines davon kaufen zu können. Etwas dieser Sammlung Ähnliches hatte er nur ein einziges Mal gesehen, in der Abteilung kostbarer Bücher der Pekinger Bibliothek; Ling hatte damals seine Begeisterung mit der von Silberfischchen verglichen, die sich gern in den Seiten alter Bücher tummeln. Eine solche handgebundene Ausgabe konnte sehr teuer sein, aber sie war ihren Preis wert. Das weiße Reispapier vermittelte ihm ein ganz besonderes Gefühl. Fast war ihm, als berge es eine Botschaft aus einer alten Zeit. Lings kurzer Begleitbrief war – wie auch die paar Zeilen, die er seinem Gedicht beigefügt hatte – relativ nichtssagend, die Wahl eines solchen Buches verriet jedoch um so mehr. Ling war noch immer dieselbe, nach wie vor gefielen ihr Gedichte, auch die seinigen.
    Er hätte ihr von dem Seminar im Oktober schreiben können, doch sie sollte nicht denken, daß er sich nun voll und ganz auf die Politik verlegt hätte. Im Augenblick wollte er darüber nicht weiter nachgrübeln. Es gab doch nichts Schöneres, als an einem späten Morgen im Mai in der von grünem Efeu überwucherten Welt des berühmten Dichters aus der Song-Dynastie herumzustreifen.
    Er blätterte in der Sammlung.
     
    Hilflos fallen die Blumen
    Die Schwalben kehren zurück, sichtlich nicht fremd
    Chen hatte – wie die Schwalben in Yans Zeilen – ein fremdes und gleichzeitig vertrautes Gefühl, Guans Welt schon einmal besucht zu haben. Mit diesem Buch in der Hand vermischte sich das Gefühl mit den fernen Erinnerungen an seine Studentenzeit in Peking …
    Sonderbarerweise war Guan für ihn kein fremdes Wesen mehr, der Fall war zu einer persönlichen Herausforderung geworden. Die Menschen hatten Guan als nationale Modellarbeiterin gesehen, stets politisch korrekt, die Verkörperung der von der Partei so gern propagierten Mythen.
    Acht Stunden am Tag, sechs Tage die Woche mußte sie fremde Erwartungen erfüllen. Zusätzlich zu den Überstunden im Kaufhaus mußte sie zahllose Zusammenkünfte besuchen und ständig auf Parteikonferenzen Vorträge halten. Der Propaganda der Kommunistischen Partei zufolge war das natürlich alles machbar, auch Genosse Lei Feng war so ein selbstloses Wunder gewesen. Im Tagebuch des Genossen Lei Feng, das millionenfach verkauft worden war, ging es nirgends um sein Privatleben. Doch Ende der achtziger Jahre kam schließlich heraus, daß das Tagebuch reine Fiktion gewesen war, verfaßt von einem professionellen Autorenteam im Auftrag des Zentralkomitees der Partei.
    Politische Korrektheit war etwas Äußerliches. Sie sollte und konnte das Fehlen eines Privatlebens nicht erklären. Das gilt auch für mich, dachte Oberinspektor Chen.
    Vielleicht würde ihm eine kleine Verschnaufpause von diesem Fall guttun, dachte er weiter. Und sogleich fiel ihm ein, was er am allerliebsten tun würde: mit Wang Feng Zusammensein. Gleich beim Aufwachen war ihm dieser Gedanke gekommen. Er nahm das Telefon zur Hand, doch dann zögerte er. Vielleicht war es ja doch noch etwas früh. Aber dann erinnerte er sich an ihren Anruf vor ein paar Tagen – da hatte er einen ausgezeichneten Vorwand. Mit einer Frühstückseinladung hätte er, abgesehen von einem angenehmen Morgen, keine weiteren Verpflichtungen. Ein hart arbeitender Oberinspektor hat schließlich das Recht, etwas Zeit mit einer Reporterin zu verbringen, die einen Artikel über ihn verfaßt hat.
    »Wie geht es Ihnen heute morgen, Wang?«
    »Danke, gut. Aber es ist noch ziemlich früh, noch nicht mal sieben.«
    »Na ja, beim Aufwachen habe ich an Sie gedacht.«
    »Ach so? Gut zu wissen. Sie hätten mich

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