Qiu Xiaolong
perfekte Wein zu Krebsen. In der anderen Hand hatte er wie gewöhnlich seine schwarze Aktentasche aus Leder.
»Willkommen, Oberinspektor«, sagte Peiqin, eine perfekte Shanghaier Gastgeberin, und wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Wie ein altes chinesisches Sprichwort sagt: ›Ihre Gesellschaft bringt Glanz in unsere schäbige Hütte.‹«
»Wir müssen ein bißchen zusammenrücken«, fügte Yu hinzu. »Bitte nehmen Sie am Tisch Platz.«
»Ein Krebsessen macht jeden Raum zum Bankettsaal«, sagte Chen. »Ich weiß Ihre Freundlichkeit wirklich zu schätzen.«
Das Zimmer war kaum groß genug für die vier Stühle um den Tisch. Also saßen sie an drei Seiten, und auf der vierten Seite saß ihr Sohn Qinqin still auf seinem Bett.
Qinqin hatte lange Beine, große Augen und ein rundliches Gesicht, das er bei Chens Ankunft hinter einem Bilderbuch versteckte. Aber er war alles andere als schüchtern, als die Krebse auf den Tisch kamen.
»Wo ist Ihr Vater, der Alte Jäger?« fragte Chen und legte seine Stäbchen auf den Tisch. »Ich habe ihn noch nicht begrüßt.«
»Oh, der ist draußen und patrouilliert über den Markt.«
»Immer noch aktiv?«
»Ja, das ist eine lange Geschichte«, antwortete Yu und schüttelte den Kopf.
Seit seiner Pensionierung hatte der Alte Jäger als Nachbarschaftswächter Dienst getan. Zu Beginn der achtziger Jahre, als privater Handel noch immer als illegal galt oder in politischem Sinne zumindest als »kapitalistisch« abgestempelt wurde, hatte der Alte sich dafür verantwortlich gefühlt, über die Heiligkeit des staatlichen Marktes zu wachen. Doch der private Markt wurde bald legalisiert und sogar zur notwendigen Ergänzung des sozialistischen Marktes erklärt. Die Regierung behinderte private Geschäftsleute nicht mehr, solange diese willens waren, ihre Steuern zu entrichten. Aber der alte Polizist ging immer noch dorthin und unternahm seine Streifengänge ohne besonderen Zweck, einfach weil ihm das Gefühl guttat, dem sozialistischen System von Nutzen zu sein.
»Reden wir beim Essen weiter«, unterbrach sie Peiqin. »Die Krebse können nicht warten.«
Das Essen war phantastisch, ein wahrer Festschmaus. Auf dem mit einem Tuch bedeckten Tisch wurden die runden rotweißen Krebse in kleinen Bambuseinsätzen aufgetragen. Der kleine Messinghammer glänzte zwischen blauen und weißen Tellerchen. Der Reiswein wurde auf die richtige Temperatur erwärmt und schimmerte im Licht bernsteingelb. Auf der Fensterbank stand in einer Glasvase ein Strauß Chrysanthemen, die vielleicht schon zwei oder drei Tage alt und etwas ausgedünnt waren, aber noch immer sehr schön.
»Ich hätte meine Canon mitbringen sollen, um den Tisch, die Krebse und die Chrysanthemen zu fotografieren«, sagte Chen, sich die Hände reibend. »Das könnte ein Bild aus dem Traum der Roten Kammer sein.«
»Sie meinen bestimmt das achtundzwanzigste Kapitel, wo Baoyu und seine ›Schwestern‹ bei einem Krebsessen Gedichte verfassen«, sagte Peiqin und löste das Beinfleisch eines Krebses für Qinqin aus. »Leider ist das hier kein Zimmer im ›Garten der Augenweiden«
Yu freute sich, daß sie neulich erst in dem Garten gewesen waren. Somit kannte er den Bezug. »Aber unser Oberinspektor dichtet auch selbst. Er wird uns aus seinen Gedichten vorlesen.«
»Verlangen Sie von mir nicht, daß ich etwas lese«, sagte Chen. »Ich habe den Mund voller Krebsfleisch. Ein Krebs ist viel besser als Verse.«
»Die Krebse haben eigentlich noch nicht ihre Saisonreife erreicht«, entschuldigte sich Peiqin.
»Aber nein, jetzt sind sie am besten.«
Offensichtlich genoß Chen Peiqins exzellente Kochkunst, ganz besonders die Zhisu-Soße, von der er im Handumdrehen ein goldenes Tellerchen voll verspeiste. Nachdem er die Verdauungsdrüsen eines weiblichen Krebses verzehrt hatte, seufzte er vor Vergnügen.
»Su Dongbo, der Dichter aus der Song-Dynastie, sagte einmal: ›Ach, könnte ich Krebse essen, ohne daß der Weinkontrolleur neben mir säße! ‹ «
»Ein Weinkontrolleur in der Song-Dynastie?« Qinqin redete zum erstenmal während des Essens und zeigte sein Interesse an Geschichte.
»Ein Weinkontrolleur war im 15. Jahrhundert ein Beamter niederen Ranges«, antwortete Chen, »wie heute ein Polizeibeamter mittleren Ranges; er war ausschließlich für das Benehmen der anderen Beamten bei förmlichen Festessen und Festen verantwortlich.«
»Nun, davor brauchen Sie keine Angst zu haben, Oberinspektor Chen. Trinken Sie, soviel Ihr Herz
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