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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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große Gestalt im Regen verschwand.
    Zhang Ji, ein Dichter aus der Tang-Dynastie, hatte einen sehr bekannten Zweizeiler geschrieben. Vor sich hin pfeifend, öffnete Chen die oberste Schublade seines Schranks. Er hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, die Kette herauszunehmen, deren Perlen unter dem Licht schimmerten. Mit wehem Herzen geh ich die schimmernden Perlen dir zurück – Ach, wärst du mir nur begegnet, bevor du dich einem andern versprachst.
    Einigen Kritikern zufolge wurde das Gedicht zu dem Zeitpunkt geschrieben, als Zhang den Entschluß faßte, Anfang des 8. Jahrhunderts zur Zeit des Kaisers Dezhong ein Angebot des Premierministers Li Yuan auszuschlagen. Ergo handelte es sich hier um eine politische Analogie.
    Alles ist eine Frage der Interpretation, dachte Chen, während er sich die Nase rieb. Ihm mißfiel, was er getan hatte. Sie hatte sich ihm erklärt. Es wäre die erste gemeinsame Nacht gewesen, die er herbeigesehnt hatte, und es hätten noch mehr Nächte folgen können. Außerdem wäre er zu nichts verpflichtet gewesen.
    Doch er hatte nein gesagt.
    Es würde ihm wohl kaum je gelingen, seine Reaktion auch nur sich selbst vernünftig zu erklären.
    Das Geräusch einer Fahrradklingel verebbte in der nächtlichen Stille.
    Das Leben anderer Menschen konnte er logisch analysieren, sein eigenes nicht. Oberinspektor Chen hatte viele Fehler begangen. Die Entscheidung der heutigen Nacht war möglicherweise ein weiterer Fehler, den er bereuen würde.
    Schließlich ist ein Mann nur das, was er zu tun oder zu unterlassen beschlossen hat.
    Es gibt Dinge, die ein Mann tut, und Dinge, die ein Mann nicht tut. Das war eine weitere Lehre des Konfuzius, die ihm sein Vater beigebracht hatte. Vielleicht war er ja in seinem Inneren zutiefst konservativ, traditionell, sogar altmodisch – oder politisch korrekt. Das Fazit war nein.
    Gleichgültig, was er tun würde, gleichgültig, was für eine Art Mensch er werden würde, eines hatte er sich geschworen: Er würde den Fall lösen. Das war die einzige Möglichkeit, wie er, Oberinspektor Chen, vor sich selbst Gnade finden konnte.

 
    19
     
    ENDLICH KAM Hauptwachtmeister Yu zum Abendessen nach Hause.
    Peiqin hatte in der Gemeinschaftsküche bereits einige Hauptgerichte zubereitet.
    »Kann ich helfen?«
    »Nein, geh einfach ins Zimmer. Qinqin geht es heute viel besser, du kannst ihm bei seinen Hausaufgaben helfen.«
    »Er muß eine Menge Stunden verpaßt haben, seit ich vorgestern mit ihm im Krankenhaus war.«
    Aber Yu ging nicht gleich zu seinem Sohn. Beim Anblick der eifrig arbeitenden Peiqin, der das weiße, kurzärmelige Polohemd am schwitzenden Körper klebte, hatte er ein schlechtes Gewissen. Sie kauerte vor einem Spülbecken aus Beton und band einen lebenden Krebs mit einem Strohband zusammen. Einige Yangchen-Krebse krabbelten geräuschvoll auf dem mit Sesam bedeckten Boden eines Holzeimers.
    »Man muß sie zusammenbinden, sonst werfen die Krebse im Kochtopf ihre Beine ab«, erklärte Peiqin, als sie seinen fragenden Blick bemerkte.
    »Und warum ist dann der ganze Sesam im Eimer?«
    »Damit die Krebse kein Gewicht verlieren. Nahrhaftes Futter für sie. Wir haben die Krebse heute früh bekommen.«
    »Heutzutage sind sie etwas Besonderes.«
    »Ja, und Oberinspektor Chen ist dein Ehrengast.« Eigentlich hatte Peiqin die Entscheidung getroffen, Chen zum Abendessen einzuladen. Sie tat es für ihn, denn schließlich war sie es, die alles in ihrem elf Quadratmeter großen Zimmer vorbereiten mußte. Dennoch hatte sie darauf bestanden.
    Gestern nacht hatte er Peiqin von der Sitzung des Parteikomitees des Präsidiums am Vortag erzählt. Kommissar Zhang hatte an seiner schnörkellosen Art herumgemäkelt, was nichts Neues war. In der Sitzung ging Zhang jedoch so weit, dem Parteikomitee Yus Ablösung vorzuschlagen. Zhangs Vorschlag wurde ernsthaft diskutiert. Yu war nicht Mitglied des Komitees und konnte sich daher nicht selbst verteidigen. Da die Ermittlungen sich festgefahren hätten, könnten neue Leute oder wenigstens eine Neuverteilung der Verantwortung von Nutzen sein. Parteisekretär Li schien bereit, sich darauf einzulassen. Yus Herz hing zwar nicht an diesem Fall, seine Ablösung hätte jedoch einen Dominoeffekt zur Folge gehabt. Sein Schicksal wäre – laut Oberkommissar Lao, der an der Sitzung teilgenommen hatte – besiegelt gewesen, wenn Oberinspektor Chen nicht eingegriffen hätte. Chen hatte die Mitglieder des Komitees durch eine Rede überrascht, in der er sich

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