Quade 02 - Goldene Sonne die dich verbrennt
mich beraubte«, klärte er Charlotte auf.
Heiße Röte stieg in ihre Wangen. Es
schien ihr äußerst ungerecht, daß sie als Jungfrau zu Patrick gekommen war,
während er vermutlich bereits Erfahrungen mit Frauen aller Gesellschaftsschichten
gemacht hatte, von Prinzessinnen bis hin zu Tänzerinnen.
»Deine Arroganz ist nicht zu
übertreffen«, sagte sie grollend.
Patrick lachte, dann ging er ohne
ein weiteres Wort hinaus, und Charlotte nutzte seine Abwesenheit, um das
scheußlich rote Kleid anzuprobieren.
Es war um den Busen herum zu eng und
hatte einen schockierend tiefen Ausschnitt. Charlotte kam sich in diesen Kleid
wie eine Straßendirne vor, doch da ihre Neugierde stärker war als ihr Gefühl
für Schicklichkeit, behielt sie das Kleid an und verließ die Kabine. Sie wollte
selbst sehen, wie groß der Schaden war, den die Piraten angerichtet hatten.
Einige der Seeleute waren mit Sicherheit verletzt und würden ihre Hilfe
brauchen.
Ein wüstes Chaos herrschte auf der Enchantress. Das Hauptsegel hing in Fetzen vom Mast, das Deck war blutbefleckt, und ein
Teil der Reling war zerstört, wahrscheinlich durch Kanonenkugeln. Das Schiff
hatte Schlagseite, und die Luft war noch immer vom Geruch des Schießpulvers
erfüllt.
Draußen auf dem Meer bewegte sich
das Piratenschiff langsam auf den Horizont zu.
»Das Kleid steht dir noch viel
besser als Monique«, bemerkte Patrick, und Charlotte erschrak, weil sie ihn
nicht gesehen hatte. Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich mit
unglaublicher Geschmeidigkeit und so lautlos wie eine Raubkatze.
»Es überrascht mich, daß sie es
lange genug anhatte, damit es dir auffallen konnte«, versetzte sie spöttisch,
weil sie Patricks frivole Bemerkung angesichts des — wie ihr schien — drohenden
Untergangs der Enchantress empörend fand.
Er lachte. »Es hätte sicher wenig
Zweck, dich in die Kabine zurückzuschicken«, meinte er. »Also achte bitte
darauf, uns nicht im Weg zu sein.«
Nach einem hochmütigen Blick schaute
Charlotte sich nach verletzten Seemännern um. »Ich habe meiner Stiefmutter und
Dr. McCauley oft geholfen, Kranke und Verwundete zu pflegen. Ist jemand
verletzt?«
Patrick zeigte auf die Ladeseite des
Schiffs. »Ja«, sagte er mit ernster Miene. »Dort drüben.« Dann entfernte er
sich in entgegengesetzter Richtung und begann die Takelage hinaufzuklettern.
Flink wie eine Spinne in ihrem Netz, dachte Charlotte, und die Erinnerung an
ihre erste Begegnung vor zehn Jahren im Hafen von Seattle versetzte ihr einen
leisen Stich.
Als sie auf der anderen Seite des
Schiffs war, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, daß insgesamt nur sechs
Männer verletzt waren, und das nicht einmal ernsthaft. Sie krempelte die Ärmel
des scheußlichen roten Kleides auf, ignorierte die vielsagenden Blicke der
Verletzten und half Mr. Cochran und Mr. Ness beim Reinigen, Nähen und Verbinden
der Wunden.
Doch nicht lange, dann war auch das
erledigt, und Charlotte begann sich zu langweilen. Untätigkeit war nie ihre
Stärke gewesen, und deshalb kehrte sie in Patricks Kabine zurück, um sich eins
von seinen Büchern auszuleihen.
Patrick hing noch immer in der
Takelage und flickte mit einigen Männer das Segel. Charlotte kam es so vor, als
ob das Schiff auf die spanische Küste zuhinkte, und ihre lebhafte Phantasie
spiegelte ihr eine ganze Reihe erschreckender Bilder vor. Sie sah die Enchantress sinken, umringt von Haien und anderen Kreaturen aus der Tiefe, glaubte
schon das Wasser über ihrem Kopf zusammenschlagen zu spüren ...
»Mrs. Trevarren?« sagte Mr. Cochran.
»Verzeihen Sie die Bemerkung, aber ich finde, daß Sie ein bißchen mitgenommen
aussehen. Eine Tasse Tee mit einem Schuß Brandy würde Ihnen sicher guttun.«
Charlotte lächelte. »Sehr freundlich
von Ihnen, Mr. Cochran. Vielen Dank.«
Der erste Maat nickte und ging, und
Charlotte ließ sich auf der Kiste nieder, hinter der sie sich vor einer Stunde
noch verborgen hatte. Obwohl sie das Kleid einer Dirne trug und sich auch sehr
unbehaglich darin fühlte, gab ihr die respektvolle Höflichkeit des ersten
Maats wieder das Gefühl, eine Dame zu sein. Als sie zu Patrick hinaufschaute,
sah sie, wie er das Hemd abstreifte und es fallen ließ. Mit nacktem Oberkörper
setzte er seine Arbeit fort.
Charlotte rümpfte die Nase. Ihr Mann
hatte noch einiges zu lernen, wenn je ein Gentleman aus ihm werden sollte!
Am nächsten Tag, kurz vor Sonnenuntergang, kam Land in
Sicht. Während die Sonne purpurrot im Meer versank,
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