Quade 02 - Goldene Sonne die dich verbrennt
umringte eine Schar
schnatternder Delphine das Schiff und hieß es mit einem aufgeregten Tanz
willkommen.
Charlotte stand an der Reling und
beobachtete das faszinierende Schauspiel. Sie hatte in der Nacht kaum Schlaf
gefunden, weil sie den Untergang des Schiffs befürchtete, um Patrick, dessen
leidenschaftliche Umarmungen sie vielleicht von ihren Ängsten abgelenkt hätten,
war die ganze Nacht lang nicht zu ihr gekommen. Er hatte nicht einmal das
Abendessen mit ihr eingenommen.
Und nun, während sie das muntere
Treiben der Delphine beobachtete, gestand Charlotte sich zum erstenmal die Zwiespältigkeit
ihrer Emotionen ein. Einerseits war sie natürlich froh, bald wieder festen Boden
unter den Füßen zu haben, vor allem in einem Land, in dem ein Mann nur Anspruch
auf eine Frau besaß. Gleichzeitig jedoch fühlte sie eine nagende Furcht in sich
erwachen, die der Vorbote einer weiteren tiefgreifenden Veränderung schien, so
düster und mächtig wie die Stürme, die im Winter die Küsten der Puget Sound
verwüsteten.
Der Küchenjunge, Tipper Doon, trat
zu ihr an die Reling und schaute seufzend zu den Olivenhainen und roten Ziegeldächern
hinüber, die an der Küste sichtbar wurden. Tipper war noch sehr jung, und
Charlotte fragte sich, ob es irgendwo jemanden geben mochte, der an ihn dachte
und für seine sichere Heimkehr betete.
»Wie heißt dieser Ort?« fragte sie,
aus dem Bedürfnis heraus, sich mit jemandem zu unterhalten.
»Costa del Cielo — die Küste des Himmels. Manchmal nehmen
Wasser und Himmel genau die gleiche Farbe an, und dann sieht es so aus, als
würde die Stadt frei in der Luft schweben.«
Charlotte lächelte. »Wie poetisch
Sie sich ausdrücken, Mr. Doon«, entgegnete sie. »Aber sagen Sie mir doch, wo
Sie geboren sind und ob es dort Menschen gibt, die auf Ihre Heimkehr warten?«
Der Junge wandte den Kopf und
schaute Charlotte an. Seine Augen waren so blau wie das Meer, sein sandfarbenes
Haar trug er lang wie Patrick, und auch in seiner Kleidung schien er seinem
Captain nachzueifern. Auch er trug enge Hosen und ein weites Hemd, wie es sonst
nur Piraten trugen.
»Ich bin in San Francisco an Bord
gegangen«, erwiderte er. »Meine Mama war alles, was ich hatte, und ich glaube,
sie war zu beschäftigt mit Whiskey und mit Männern, um meine Abreise zu
bemerken.«
Angesichts ihrer eigenen behüteten
Kindheit empfand Charlotte heftiges Mitleid mit diesem einsamen jungen
Burschen.
»Wo sind Sie aufgewachsen, Mrs.
Trevarren?« fragte er scheu.
Sie lächelte. »In Quade's Harbor,
einer kleinen Stadt im Staate Washington. Meine Schwester und ich waren die
reinsten Wildfänge, bis ich dreizehn war und Millie zehn. Dann heiratete Papa,
der lange Witwer gewesen war, zum zweitenmal, und Lydia — meine Stiefmutter —
veränderte unser aller Leben. Zum Besseren«, fügte sie wehmütig hinzu.
Bevor Tipper etwas erwidern konnte,
rief der Koch ihn an die Arbeit zurück, und Charlotte war wieder allein.
Der Erwähnung ihrer Heimat und ihrer
Familie hatten sie in eine melancholische Stimmung versetzt, und ein Gefühl
tiefster Einsamkeit erfüllte ihr Herz. Sie wünschte sich Patrick herbei, aber
er erschien erst nach dem Abendessen, als das Schiff ankerte und die Mannschaft
ein Beiboot zu Wasser ließ. Dann wurde eine Stickleiter ausgerollt.
Patrick warf eine Reisetasche in das
auf den Wellen tanzende Boot und lächelte Charlotte an. »Ich gehe zuerst«,
sagte er.
Als sie in die Tiefe schaute, erlitt
sie ihren ersten Anfall von Seekrankheit. »Ich weiß nicht, ob ich das schaffe«,
flüsterte sie ängstlich.
»Hab keine Angst, ich helfe dir«,
erwiderte Patrick beruhigend, schwang sich über die Reling und blieb auf der
dritten Strebe der Strickleiter stehen, um auf Charlotte zu warten.
Zitternd raffte sie ihre Röcke, und
Mr. Cochran war so galant, sie über die Reling zu heben.
Patrick war so dicht hinter ihr, daß
sein warmer Atem ihr Ohr streifte. »Schau nicht in die Tiefe«, riet er. »Wir
werden im Boot sein, bevor du weißt, wie dir geschieht.«
Charlotte klammerte sich an den
rauhen Hanf der Taue und setzte mit geschlossenen Augen vorsichtig einen Fuß
unter den anderen. Und bald darauf, wie Patrick versprochen hatte, saß sie
schon im Boot, umklammerte den Rand der schmalen Ruderbank und kämpfte gegen
ihre Übelkeit an.
Mehrere Besatzungsmitglieder ließen
sich ebenfalls ins Boot herab und begannen es dann auf die Küste zuzurudern.
Charlotte holte mehrmals tief Atem und rief sich jene Zeit
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