Quade 03 - Suesse Annie, Wildes Herz
als
befürchtete jeder, der andere könnte ihm gestohlen werden, um danach wieder in
die gleiche schwarze Leere zurückzusinken, die sie schon zuvor verschluckt
hatte.
Der Regen hörte während der Nacht
auf und begann wieder im Morgengrauen. Rafael schürte das Feuer und kehrte ins
Bett zurück, wo er Annie in die Arme zog.
Den ganzen Tag liebten sie sich und
schliefen, als existierte keine andere Welt außer jenem verzauberten kleinen
Fischerhaus.
Sie redeten, aßen etwas von den
Mahlzeiten, die für sie gebracht wurden, und vertrauten einander die verborgensten
Geheimnisse ihrer Herzen an.
Jene gefährliche, magische Zeit war
für Annie alles, was sie je über das Paradies zu wissen brauchte. Sie waren
gerade eingeschlafen in der zweiten Nacht, trunken vom Wein ihrer Leidenschaft,
als plötzlich eine Faust gegen die Eingangstür des Hauses hämmerte.
Annie richtete sich mit einem
erschrockenen Ausruf auf, und Rafael griff unter das Bett und zog eine Pistole
hervor.
Im nächsten Augenblick zersplitterte
Holz, und die Tür krachte gegen die Innenwand.
Mondschein erhellte das zornige
Gesicht von Patrick Trevarren.
»Bei Gott!« donnerte er. »Es ist
also wahr!«
Rafael legte die Pistole auf die
Matratze und riß ein Streichholz an, um die Lampe neben dem Bett anzuzünden.
»Nimm dich zusammen, Trevarren, bevor du etwas aussprichst, was dich für immer
von deinem Kind entfernen könnte! Annie is meine Frau.«
Annie vermochte nur zu nicken,
während sie, halb unter den Laken versteckt, zu ihrem Vater hinüberschaute. Er
war eine beeindruckende Erscheinung, ein großer, breitschultriger Mann mit
tintenblauen Augen und ebenmäßigen weißen Zähnen. Sein dunkles Haar, das an den
Schläfen schon silbern schimmerte, war ziemlich lang und wurde im Nacken von
einem Lederriemen zusammengehalten.
»Deine Frau, hm?« fragte Patrick und
schloß die Tür vor den anderen Männern seiner Gruppe, die, wie Annie vermutete,
neugierig ins Haus geströmt wären, wenn er es zugelassen hätte. »Ist das wahr,
Annie? Und ich will keinen Unsinn hören!«
»Es ist wahr, Papa«, bestätigte
Annie mit ganz ungewöhnlicher Beklommenheit. »Rafael und ich haben vorgestern
geheiratet. Du kannst den Priester fragen, falls du mir nicht glaubst.«
»Den Priester fragen!« versetzte
Patrick ärgerlich. »Als ob sie in der Burg nichts Wichtigeres zu bedenken
hätten, wo die Rebellen schon im Begriff sind, einzufallen!«
Rafael sprang auf und begann sich
hastig anzuziehen. »Was ist passiert?« fragte er erregt.
»Sie sind auf dem Marsch zur Burg.
Morgen früh hast du sie schon vor den Toren, Rafael.«
»Mach, daß du aus Bavia fortkommst,
Patrick«, sagte Rafael und stopfte sein Hemd in die Hose, während er sprach.
»Jetzt sofort - noch heute abend!«
Patrick bedachte seine Tochter mit
einem strengen Blick und kehrte ihr dann den Rücken zu. »Zieh dich an, Tochter.
Ich will dich an Bord der Enchantress haben, bevor die Sonne aufgeht.«
Annie gehorchte, zog sich mit
ungeschickten Fingern an und versuchte, die Panik zu bezwingen, die in ihr
aufstieg.
»Warum hat mich niemand davon
unterrichtet?« fragte Rafael sich selbst, Patrick und das Schicksal, als er
die Pistole aufhob, mit der er fast seinen Schwiegervater erschossen hätte.
Patrick wirkte entschieden
unbehaglich; er räusperte sich schroff, und eine leise Röte stieg in seinen
Nacken. »Es war eure Hochzeitsnacht«, erinnerte er den Prinzen. »Außerdem
brauchten sie wahrscheinlich Zeit, sich von der Hochzeitsfeier zu erholen.«
Annie hatte inzwischen ihre
Unterwäsche und das schlichte Baumwollkleid angezogen, das irgend jemand,
wahrscheinlich Kathleen, mit den Nahrungsmitteln und der sauberen Bettwäsche
ins Haus gebracht hatte. Sie war zu keiner Bewegung fähig, als Rafael zu ihr
herüberkam, ihre Oberarme ergriff und sie hart auf den Mund küßte.
»Ich liebe dich, Annie Trevarren-St.
James«, sagte er. »Paß gut auf mein Kind auf.«
Dann wandte er sich ab und ging
hinaus, und Annie wäre ihm wohl nachgestürzt, wenn ihr Vater sie nicht mit
sanfter Kraft zurückgehalten hätte.
Sie wehrte sich schluchzend, und
Patrick zog sie fest an seine Brust. »Beruhige dich, Liebes. Ich weiß, wie du
dich fühlst, aber ich kann nicht dulden, daß du dich kopfüber in die Höhle des
Löwen stürzt.«
Annie heulte vor Verzweiflung auf
und versuchte noch einmal, sich loszureißen, aber Patrick hob sie auf seine
Arme und trug sie hinaus. Der Einspänner stand im Hof, doch das
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