Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
mehr anhaben. Schließlich hatte er einen
starken Freund gefunden: Signor Smith.
Dreizehn
Hinter den morgendlichen Dunstschleiern
kroch im Osten die blutrote Sonne über die dumpf braunen Fluten der Lagune empor.
Verschlafen beobachtete er im Wasser der Lagune einen ziemlich großen Teppich von
abgestorbenen Algen vorbeitreiben, in dem sich Plastikflaschen und anderer Dreck
verfangen hatten. Bei dem Gedanken, dass er gestern eine riesige Portion Muscheln
verschlungen hatte, die aus diesem Dreckgewässer stammten, wurde er ganz blass im
Gesicht. Und als sich ein unangenehmes Gefühl in seinem Magen breitmachte, murmelte
er: »Kein Wunder, dass die Venezianer das Zeug Cozze nennen.«
»Was murmelst
du da?«, fragte ihn Sissy, die als Scriptgirl am Set arbeitete und unmittelbar neben
ihm saß.
»Ich glaub,
ich muss mal«, stöhnte Bender und stand wankend auf. Sissy grinste und deutete auf
die verfallenen Gemäuer, die früher einmal ein Bauernhaus gewesen waren.
»Geh dort
in die Ruine rein. Ich war vorher schon drinnen. Stinkt ein bisserl, aber es schaut
einem keiner zu.«
Bender wankte
hin, schaffte es aber nur bis an die Außenmauer. Dort erbrach er in einem armdicken
Strahl die Reste der Cozze und des grauenhaft fetten Tiramisu, das er danach gegessen
hatte. Er schüttelte sich vor Ekel. Sein Mund schmeckte nicht nur nach säuerlichen,
halbverdauten Speisen, sondern auch nach Weißwein und Grappa. Pfui Teufel! Gestern
hatte er viel zu viel Grappa getrunken. Neuerlich würgte es ihn, und er erbrach
nochmals. Allerdings nur mehr ein armseliges, gelbliches Zeug, das widerlich bitter
schmeckte.
»Scheiß
italienischer Fraß!«, grantelte Bender und freute sich, dass er in etwas mehr als
vier Wochen wieder in Wien sein würde. Eine unglaubliche Sehnsucht packte ihn. Nach
Wiener Schnitzel, Erdäpfelsalat, Leberkäse und Burenwürsten. Warum hatte er sich
das eigentlich angetan, diesen Dreh in Italien? Finanziell hatte er ihn bei Gott
nicht nötig. Schließlich war er der Sohn eines Industriellen, der ihm nach seinem
Ableben ein beachtliches Vermögen hinterlassen hatte. Da Bender ein recht geschicktes
Händchen im Umgang mit Geld und mit Aktien hatte, konnte man ihn mit Fug und Recht
einen reichen Mann nennen. Trotzdem: Die Kunst, das kreative Schaffen, die Arbeit
als Regisseur reizten ihn immer noch. Schließlich sah er sich selbst nicht als reichen
Geldsack, sondern als Künstler. Und Künstler mussten in Ausübung ihrer Tätigkeit
Opfer bringen. Seufzend knöpfte sich Bender den Hosenladen seiner 501 Jeans auf
und urinierte in eine riesige Distelstaude. Sein Blick schweifte an dem Gemäuer
vorbei über die kleine, verwahrloste Insel, über schäumendes, graubraunes Wasser
und die Gruppe von Booten, die sie für diesen morgendlichen Dreh gemietet hatten.
Zum dritten Mal wurde eine Verfolgungsszene mit Motorbooten in der Lagune vorbereitet.
Bender hoffte, diese blöde Szene nun in den Kasten zu bringen. Dann könnten sie
zurück nach Venedig, wo er sich sofort auf sein Zimmer begeben würde. Jalousien
herunter, ins Bett fallen und schlafen. Und das Schild ›Please do not disturb‹ an
der Tür. Als er an den Set zurückgekehrt war, warteten schon alle auf ihn. Übellaunig
grummelte er:
»Fahr ma,
Euer Gnaden! Film ab!«
Ächzend
ließ er sich in seinen Regiesessel fallen und beobachtete auf den Monitoren die
Aufnahmen der insgesamt drei Kameras. Als die Szene fast perfekt abgedreht war,
tuckerte plötzlich ein fremdes Boot ins Bild. Bender sprang auf und brüllte:
»Scheiße!«
Und zwar
so laut, dass es quer über die Lagune schallte. Blass vor Wut, sackte er in sich
zusammen und ließ sich in den Regiesessel fallen. Leise fragte er:
»Wo ist
der Mühleis?«
»Der junge
oder der alte?«
»Beide.«
»Der alte
ist draußen bei den Booten. Und der junge kommt gerade mit dem Catering-Boot an.«
Philipp
Mühleis erschien elegant gekleidet und schlecht rasiert wie immer. Seine Helfer
schleppten Kannen und Behälter mit Trink- und Essbarem an. Als Mühleis zu Bender
und seiner Crew kam, brüllte ihn der Regisseur an:
»Philipp,
du Oasch! Mit deinem Scheiß-Catering-Boot hast du mir die Szene g’schmissen.
Ich lass dich an den Eiern aufhängen.«
Mühleis
blieb wie versteinert stehen, setzte sich auf einen freien Sessel neben Bender,
vergrub sein Gesicht in den Händen und begann zu weinen. Aus seiner Hosentasche
rutschte die Morgenausgabe des ›Il Gazzettino‹. Die Zeitung blieb am Boden
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