Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
sich eine mit aufgespannten Regenschirmen
ausgerüstete Menschentraube um eine Frau, die im strömenden Regen stand und mit
schriller Stimme vor sich hin schimpfte. Über die unfähigen Polizisten. Lauter Kinderschänder
und Pädophile, arrogante Bürokraten, die am liebsten ihren Arsch nicht vom Dienstsessel
erhoben. Faul, unfähig und unwillig. Völlig überfordert, wenn sie ausnahmsweise
einmal nicht wegen eines Handtaschenraubs oder einer Rauferei ermitteln mussten. Die Questura in Venedig? Ha! Ein Biotop der Ineffizienz.
Seit Wochen trieb hier ein Kindermörder sein Unwesen, und was geschah? Nichts! Nichts
geschah! Und das konsequent! Ein Skandal, der zum Himmel stank. Und was machte das
Innenministerium in Rom? Die schickten einen pädophilen Sonderermittler. Die machten
den Bock zum Gärtner. Das war typisch für die gesamte Politik. Lauter unfähige Vollidioten,
die dank Beziehungen oder Bestechung zu ihrem Job gekommen waren. Das gesamte Innenministerium
und die Polizia di Stato gehörten gesäubert. Alle rausgeschmissen. Lauter Flaschen!
Einer dümmer als der andere. Und solche Leute sollten einen perfiden, mit allen
Wassern gewaschenen Kindermörder fassen! Das war doch von Anfang an zum Scheitern
verurteilt. Und überhaupt dieser Commissario Ranieri! Ein Alkoholiker, der sich
das Hirn kaputtgesoffen hat. So einer leitete die Ermittlungen. Ein dementer Kerl,
ein Alkoholkranker sollte den Kindermörder fassen. Eine gescheiterte Existenz, ein
menschliches Wrack …
Lupino konnte
die Beschimpfungen Ranieris nicht weiter mit anhören. Es ekelte ihn vor dem offensichtlichen
Gefallen, den die versammelten Reporter an dieser Szene hatten. Sie filmten den
hysterischen Anfall begeistert mit und riefen der völlig durchgedrehten Frau auch
noch Stichworte zu, die diese immer wieder zu neuen Tiraden anstachelte. Er drängte
sich durch die Menge und verschwand in der Questura. Eine Minute später betrat er
Ranieris Zimmer. Ranieri stand neben Silvana Viti vor einer Wandkarte Venedigs.
Die beiden diskutierten einen Polizeigroßeinsatz, um die beiden Bezirke San Polo
und Dorsoduro systematisch zu durchkämmen. Haus für Haus wollten sie die Bewohner
befragen, ob sie in den letzten Wochen irgendetwas Merkwürdiges in ihrem Haus oder
in der Nachbarschaft bemerkt hatten.
»Wolfgang,
was hast du herausgefunden? Sag schon!«
Lupino erzählte
auf Italienisch, sodass Silvana Viti es verstand, was er gestern erlebt und an diesem
Nachmittag herausbekommen hatte. Ranieri forderte Lupino auf, ihm auf der Karte
zu zeigen, wo denn Cecchettis Laden sei. Als Lupino dies tat, pfiff er durch die
Zähne. Silvana fragte ihn, wie man Cecchetti schreibe und tippte den Namen in den
Polizeicomputer. Da sich hier nichts Auffälliges fand, hatte Silvana die Idee, die
amerikanische Bundespolizei und die U.S.-Einwanderungsbehörde um Hilfe zu bitten.
Da sie recht gut Englisch konnte, begann sie E-Mails in die USA zu schreiben. Ihre
erste Bitte betraf die Tochter Cecchettis, ob deren Aufenthaltsort bekannt sei.
Die Anfrage an die Einwanderungsbehörde betraf Cecchetti selbst. Ob er vor einigen
Wochen in die USA eingereist sei. Dann suchte sie nach Signor Smith. Doch hier stieß
sie überall auf negative Ergebnisse. Einen italienischen Rahmenmacher namens Smith
gab es nicht. Während Silvana Viti im Internet recherchierte, fragte Lupino Ranieri,
wer denn die Verrückte vor der Questura war. Ranieri seufzte und sagte dann:
»Seit vorgestern
ist ein vierter Junge, er heißt Marco Canella, verschwunden. Die Hysterikerin da
draußen ist seine Mutter.«
Als Lupino
Ranieri fragte, wo denn der Verschwundene wohnte, stand Ranieri seufzend von seinem
Bürosessel auf und ging zur Karte. Er setzte eine Pinnnadel genau neben die Adresse,
die Cecchettis Laden anzeigte. Jetzt pfiff Lupino durch die Zähne. Silvana Viti
kam ebenfalls zur Karte. Alle drei standen davor und starrten auf die Pinnnadeln.
Da waren allmählich zu viele Zufälle im Spiel. Hier stimmte irgendetwas nicht.
Siebenundvierzig
Er hatte Angst. Angst davor, hier
im Dunkeln zu sitzen. Angst vor den Ratten, die ganz ungeniert auf ihm herumgeklettert
waren, als er noch betäubt war. Angst, vielleicht nie mehr Tageslicht zu sehen.
Angst, hier unten jämmerlich zu verhungern. Und natürlich: Angst vor Signor Smith.
Er lag auf einer ekelhaften, alten Matratze und einigen feuchten Lumpen, von der
Decke des Gewölbes fielen in unregelmäßigen Abständen Tropfen herunter. Es roch
nach Fäulnis
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