Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
Dottore beim Arm und geleitete ihn in die
Diele und dann weiter in das hintere Zimmer. Viti, der Polizist und Lupino folgten
den beiden. Lupino beobachtete, wie die Viti und der Polizist ob des Gestanks grün
im Gesicht wurden. Als Silvana Viti die verweste Leiche im Barockschrank baumeln
sah, stieß sie ihrerseits einen Schrei aus. Dann stürzte sie so wie Ranieri zuvor
aus dem Zimmer hinaus. Der Uniformierte blieb bei seinem Vorgesetzten. Tapfer stand
er da und versuchte, mittels heftiger Schluckbewegungen gegen den Drang, sich zu
übergeben, anzukämpfen. Einzig der Vicequestore blieb ruhig. Als erfahrener Kriminalist,
der sich seine Sporen in Kalabrien verdient und dort unzählige N’drangheta-Morde
miterlebt hatte, konnte ihn die verwesende Leiche nicht aus der Fassung bringen.
Zur allgemeinen Überraschung hatte er sogar Gummihandschuhe mit. Diese zog er sich
mustergültig über, bevor er die Leiche vorsichtig zu untersuchen begann. Er murmelte
etwas von zwei bis drei Monaten und von einem alten Mann. Dann fragte er Ranieri,
wie alt denn Cecchetti gewesen sei. Dieser antwortete, er sei sich nicht sicher,
soweit er sich erinnern könne, 72 oder 73 Jahre. Mastrantonio nickte und meinte,
dass die verweste Leiche wahrscheinlich Cecchetti sei. Dann besah er sich die Drähte,
mit denen Signora Umberti gefesselt gewesen war. Wieder war von draußen Lärm zu
hören. Diesmal waren es die Spurensicherer, die hereinkamen. Auch sie atmeten zuerst
hektisch und flach. Lupino grinste. Denn er nahm zwar nach wie vor den Gestank war,
aber er tangierte ihn nicht mehr. Der Mensch gewöhnt sich doch wirklich an alles,
dachte er sich. Er wurde vom Vicequestore aus seinen Gedanken gerissen. Ziemlich
grob forderte der ihn auf, den Tatort zu verlassen. Lupino protestierte. Schließlich
war er derjenige gewesen, der Cecchettis Haus entdeckt hatte. Zu seiner Überraschung
erhielt er von Silvana Viti Rückendeckung, die mit einem Taschentuch vor der Nase
nun wieder bei ihren Kollegen stand. Sie bestätigte, dass Lupino den entscheidenden
Hinweis gegeben hatte. Außerdem sei er ja von dem Vater des ersten Opfers als Privatdetektiv
engagiert worden. Mastrantonios Zornadern schwollen an. Bevor er aber wieder losbrüllen
konnte, hörten sie aus der Diele ein heftiges Platschen und dann den deutschsprachigen
Schrei:
»Hilfe!
Warum kommt mir niemand zu Hilfe?«
Ranieri
und Lupino liefen in die Diele und sahen, dass die eine Tür, die bisher verschlossen
gewesen war, offen stand. Sie führte in einen fensterlosen Nebenraum, der dem Rahmenmacher
offensichtlich als Warenlager gedient hatte. Hier standen Hölzer, Leimkübel und
allerlei anderes Zeug herum. Was die beiden aber am meisten verblüffte, war die
Tatsache, dass es in der Mitte des Raums eine Falltür gab, die offen stand. Neben
ihr lagen Philipp Mühleis’ Kleider verstreut, und von unten aus der Falltür hörten
sie Mühleis’ hallende Stimme brüllen:
»Hier unten
befindet sich ein Kind! Verdammt noch einmal, warum hilft mir niemand?«
Lupino schrie
zurück:
»Wir sind
schon da! Was sollen wir tun?«
»Ich brauche
eine Schere, schnell!«
Lupino sah
Ranieri erstaunt an, der zuckte mit den Achseln und brüllte hinaus, dass sie eine
Schere benötigten. Mittlerweile hatte sich der Vicequestore zu ihnen gesellt. Und
da er kein Deutsch verstand, übersetzte ihm Ranieri, was Mühleis geschrien hatte.
Silvana Viti brachte eine Schere, die sie Lupino gab, der sich mit dem Oberkörper
in die Falltür hinunterbeugte. An den Beinen wurde er von Ranieri und Mastrantonio
gehalten. Lupino reichte die Schere an Mühleis weiter, der offensichtlich in dem
überschwemmten Kellerraum hin und her schwamm. Nach einer bangen Minute schrie Lupino,
sie sollten ihn hinaufziehen. Er war schwer, sehr schwer. Denn er hatte einen klatschnassen
Knaben unter die Arme gefasst, der mit ihm aus dem Falltürloch heraufgezogen wurde.
Als der Knabe zitternd und weinend oben angekommen war, rief Ranieri euphorisch:
»Marco?
Marco Canella?«
Das Kind
nickte wortlos. Silvana Viti zog ihre Kostümjacke aus und wickelte den zitternden
Marco darin ein. Lupino und Ranieri halfen Philipp Mühleis aus dem eiskalten Wasserloch
heraus, und der Vicequestore, der vor in die Werkstatt ging, sah dort einen leeren
Sessel stehen, denn Signora Umberti war verschwunden.
Siebenundfünfzig
Die Sanitäter, die Ranieri zuvor
zur Versorgung von Signora Umberti gerufen hatte, kümmerten sich nun um Marco und
Philipp Mühleis.
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