Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
dem Hauptdarsteller geben solle. Diesen schnauzte
er an:
»Bist deppert,
Pauli? Was putzt du da an deinem Sakko herum? Du bist Schauspieler und nicht Putzfrau!
Du sollst den verliebten Gockel spielen und deine Partnerin mit deinem berüchtigten
Charme verwirren! Hast mich verstanden?«
Aus dem
Funkgerät quäkte ein beleidigtes »Und ob ich verstanden habe …« zurück. Bender brummte
»Na also!«, hob das Megafon zum Mund und brüllte: »Fertig zum Drehen?« Aus dem Funkgerät
quäkte eine Außenstelle nach der anderen »Fertig«. Adi Bender brüllte in das Megafon
»Kamera läuft« und sah gebannt auf die Monitore. Der alte Scheißer spielte jetzt
den Charmeur, seine Partnerin bekam feuchte Augen, die Kamera auf der Rialtobrücke
zoomte wunderbar auf die beiden zu, ein Vaporetto tuckerte im Hintergrund vorbei,
Adi Bender hielt den Atem an. »Weiter … macht’s weiter so …«, murmelte er. Doch
was war das? Um Gottes willen, was war das? Aus der Bootseinfahrt eines Palazzos
tuckerte ein Boot mit Bauschutt heraus, direkt auf die Gondel mit dem Hauptdarsteller
zu.
»Schnitt!
Scheiße!«
Er sah,
wie alle Leute des Filmsets wie unter einem Peitschenschlag zusammenzuckten. Bender
brüllte ins Megafon:
»Polizia!
Polizia! Where is the police?«
Die Polizisten
in dem Boot, das bei der Rialtobrücke lag, gaben Gas und steuerten auf den Störenfried
zu. Ein Polizist rief dem Arbeiter, der das Boot steuerte, zu, er solle schleunigst
in den Palazzo zurückfahren. Der Canal Grande sei gesperrt. Der Mann schrie zurück,
dass er seine Arbeit machen müsse und sich nicht aufhalten lasse. Das erzürnte die
Polizisten so sehr, dass sie ihm den Weg versperrten. Ein Polizist sprang auf das
Boot hinüber und zwang den Mann umzudrehen. Bender saß, auf den Knauf seines Spazierstocks
gestützt, da und wollte am liebsten weinen. So gut, so gut war diese Szene gelaufen.
Jetzt hätte sie schon im Kasten sein können. Dann wären nur noch ein paar Nahaufnahmen
von dem Hauptdarsteller und seiner Begleiterin in der Gondel zu drehen gewesen und
die Sache hätte sich gehabt. Und er hätte aufbrechen können zu Wiener Schnitzel
und Erdäpfelsalat. Doch jetzt waren diese Genüsse in weite Ferne gerückt. Wer weiß,
ob der Trottel von Hauptdarsteller die Szene noch einmal so perfekt hinbekommen
würde? Adieu Schnitzel, adieu Wien. Bender fürchtete sich davor, noch eine Nacht
in dieser verdammten Stadt bleiben zu müssen. In einem fremden Hotel statt daheim
bei Mama. Endlich war dieser venezianische Baukahn verschwunden. Und es wurde der
dritte Take gedreht. Hier war der Beginn lausig, der Schluss jedoch ganz annehmbar.
Jedenfalls waren alle ein bisschen unkonzentriert gewesen, deswegen beorderte Bender
alle noch einmal zurück an den Ausgangspunkt. Nach zwei weiteren, ebenfalls äußerst
miesen Takes war Benders Laune am Tiefpunkt angelangt. Auf seinen Spazierstock gestützt
kauerte er in seinem Regiestuhl und ließ die Regieassistentin alle nötigen Anweisungen
geben. Er sprach kein Wort mehr, sondern starrte seine Umgebung hasserfüllt an.
Schnitzel und Erdäpfelsalat! Das war alles, was ihn noch interessierte. Zu seiner
Überraschung lief der nächste Take von Anfang an ausgezeichnet. Der Hauptdarsteller
hatte sein Zwischentief überwunden und spielte nun voll konzentriert. Die Kameramänner
machten einen wundervollen Job, und die Gondel kam der Rialtobrücke immer näher.
Wenn sie dort ohne Zwischenfälle ankommen würde, hatten sie die Szene im Kasten.
Adi Bender juckte es aufzuspringen, Falcos ›Vienna calling‹ zu grölen und dazu einen
Freudentanz aufzuführen. Doch plötzlich blieb ihm das Herz stehen. Aus einem Seitenkanal
raste ein Ambulanzboot. Mit riesiger Welle bog es auf den Canal Grande in Richtung
Rialto ein. Es raste auf das Boot mit der Kamera und auf die Gondel zu. Bender griff
zum Funkgerät und zischte hinein: »Dran bleiben! Wir drehen weiter! Kameras drauf,
immer drauf!« Seine letzten Worte wurden von dem Krach überdeckt, mit dem das Ambulanzboot
am Boot mit der Kamera vorbeischrammte. Holz und Bootsteile flogen durch die Luft,
und dann krachte es in die Gondel. Diese kippte um und wurde zur Rampe, über die
das Ambulanzboot abhob und gegen einen Pfeiler des Ponte di Rialto donnerte. Bender
traute seinen Augen nicht: Bevor das Ambulanzboot an der Brücke zerschellte, hechtete
ein fetter Kerl in die schmutzigen Fluten des Kanals. Alle Leute schauten auf die
Trümmer des Bootes, auf die umgestürzte Gondel sowie
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