Quadriga: Kriminalroman (German Edition)
auf den wie wild schreienden
Hauptdarsteller und seine ebenfalls hysterisch kreischende Partnerin. Männer sprangen
in den Canal Grande, um die beiden zu retten. Der Gondoliere schwamm laut fluchend
ans Ufer. Der fette Kerl tat dies ebenfalls. Er kletterte prustend und schnaufend
heraus und wollte sich aus dem Staub machen. Das geschah unmittelbar neben Benders
Regiestuhl. Als der Saukerl an ihm vorbeiwankte, holte er aus und hieb ihm mit dem
silbernen Knauf des Spazierstocks auf den Hinterkopf. Der Dicke wankte. Bender schlug
wieder und wieder zu. Dabei schrie er mit hochrotem Kopf:
»Schnitzel
und Erdäpfelsalat! Schnitzel und Erdäpfelsalat! Schnitzel und Erdäpfelsalat!«
Siebenundsechzig
Lupino war in ein weiteres Ambulanzboot
gesprungen und hatte den Fahrer überredet, die Verfolgung aufzunehmen. Gleichzeitig
informierte er Ranieri per Handy. Als Lupino mit seinem Boot zum Canal Grande kam,
war das Chaos perfekt. Vor der Rialtobrücke trieben Bootstrümmer sowie eine umgekippte
Gondel. Menschen schwammen in den Fluten, Geschrei und Hektik. Ein Boot mit Baumaterial
tuckerte unbeeindruckt von alldem in Richtung Accademia. Gleichzeitig traf auch
das Polizeiboot mit Ranieri an Bord ein. Lupino sprang an Land und sah den Dicken
mit dem Kopf nach unten am Boden liegen. Ein Mann, der aufgrund seiner Ausdrucksweise
nur aus Wien kommen konnte, prügelte mit einem Spazierstock auf den Dicken ein.
Dabei schrie der Wiener andauernd:
»Schnitzel
und Erdäpfelsalat!«
Lupino lief
zu ihm, fiel ihm in den Arm und stoppte ihn. Da merkte er erst, dass der Kerl ja
der Regisseur der Fernsehproduktion, bei der Philipp Mühleis mitarbeitete, war.
Er hatte dessen Bild schon einige Male im ›Il Gazzettino‹ gesehen, Berger, Berner,
Beidl oder so ähnlich hieß er.
»Beherrschen
Sie sich gefälligst!«, schnauzte Lupino ihn an. Der Regisseur hielt inne, starrte
Lupino mit traurigen Augen an und jammerte:
»Schnitzel
und Erdäpfelsalat.«
Dann begann
er herzzerreißend zu weinen. Er wankte zu seinem Regiesessel zurück, vergrub das
Gesicht in den Händen und heulte wie ein kleines Kind. Lupino war ratlos. Doch plötzlich
regte sich der Dicke. Lupino kniete sich auf ihn und fixierte ihn am Boden. Ranieri,
der eiligen Schrittes hinzukam, rief er entgegen:
»Handschellen,
Ludwig! Hast du Handschellen?«
Ranieri
brüllte einen Befehl auf Italienisch und kniete sich neben Lupino auf den Dicken
drauf.
»Ist er
das? Der Spitals-Attentäter?«
Lupino nickte
und antwortete, als Ranieri mit geübten Griffen Donald B. Crumb die Handschellen
anlegte:
»Ich glaube,
jetzt ist der Spuk vorbei. Jetzt haben wir endlich den, der sich die ›Quadriga‹
ausgedacht hat, gefasst.«
Als er das
sagte, ging plötzlich ein Kameralicht an und Ornella Felduccis Kamerateam filmte
die beiden Helden, die den ›Venedig-Ripper‹ zur Strecke gebracht hatten.
Epilog
Es war der zweite Dienstag im Oktober.
Dienstags hatte sich Lupino nun immer frei genommen. Keine Führungen, keine Touristen,
kein Trinkgeld. Warum? Nun, an diesem Wochentag hatte die Osteria da Marcello Ruhetag,
und Luciana somit frei. Ein Tag, den Lupino absolut nicht mit irgendwelchen deutschsprachigen
Touristen verbringen wollte.
Er konnte
es selbst immer noch nicht recht glauben, aber er war verliebt. Dannazione! [59] Mit seinen 49 Lebensjahren hatte
er sich tatsächlich noch einmal verliebt. Blöde grinsend, wie sein Freund Ludovico
Ranieri unlängst festgestellt hatte, rannte er durchs Leben. Einen besonders breiten
Grinser hatte er an diesem Dienstag drauf. Kein Wunder, schließlich gab es nach
einer längeren Schlechtwetterperiode wieder einmal strahlend blauen Himmel über
Venedig. Und so kostete es ihn keine allzu großen Überredungskünste, um Luciana
zu überzeugen, mit ihm einen kleinen Spaziergang hinaus zu den Giardini zu machen.
Da sie spät aufgestanden waren, hatten sie bei Lupino ums Eck in einem kleinen Caffè
am Mercato Rialto Espresso getrunken und Tramezzini verspeist. Danach spazierten
sie die von Verkaufsbuden gesäumte Ruga degli Oréfici entlang zum Ponte di Rialto.
Luciana war übermütig wie ein junges Mädchen und zauberte, als sie oben auf der
Rialtobrücke standen, eine kleine Kamera aus der Tasche. Noch bevor Lupino abwehrend
die Hände hochheben konnte, hatte sie schon ein Bild von ihm geschossen. Danach
bestand sie darauf, dass sie sich beide vor der großartigen Szenerie des Canal Grande
von einem amerikanischen Touristen fotografieren
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