Qual (German Edition)
Wie könnt ihr sonntags das Gleichnis vom barmherzigen Samariter lesen und am nächsten Montagabend so etwas wie diesen Antrag unterstützen?«
An diesem Punkt explodierte Beatrice McCafferty. Nachdem sie sich aus ihrem Klappstuhl gewuchtet hatte (der dafür womöglich dankbar geknarrt hatte) und ohne auch nur
auf ein zustimmendes Nicken des Sitzungsleiters zu warten, trompetete sie hinaus: »In Ordnung, kommen wir also zur Sache! Knutscherei und Gefummel! Willst du dich allen Ernstes da hinstellen, Harry Bluenote, und behaupten, dazu wäre es noch nie zwischen den Jungs in der einen Gruppe von Hütten und den Mädchen in der anderen Gruppe gekommen? « Sie schaute sich um, verbissen und unerbittlich wie eine Schaufel. »Ich frage mich, ob Mr. Bluenote erst gestern auf die Welt gekommen ist? Ich frage mich, was denn wohl seiner Meinung nach mitten in der Nacht passiert, wenn nicht Raub und Einbruch und Niederbrennen von Scheunen?«
Harry Bluenote hatte während dieser Tirade nicht gesessen. Er stand auf der anderen Seite des Gemeindesaals, hatte die Daumen unter seine Hosenträger gehakt. Sein Gesicht hatte die gleiche staubige, rötliche Farbe wie das Gesicht jedes Bauern. Möglich, dass ein Hauch von Belustigung um seine eigenartigen, hellen Augen spielte. Oder auch nicht. Als er sicher war, dass von ihr nichts mehr kam, dass sie ihren Spruch gesagt hatte, da erhob er ruhig und entschieden noch einmal seine Stimme. »Ich hab noch nie durchs Schlüsselloch geschaut, Beatrice, aber es ist todsicher keine Vergewaltigung. «
Und damit wurde die Angelegenheit »zur weiteren Erörterung vertagt«. Was im Norden der Neuenglandstaaten der freundliche Ausdruck für das Fegefeuer ist.
John Cheltzman und die anderen Jungs aus dem Hetton House waren von Anfang an begeistert über den bevorstehenden Ausflug, aber Blaze hatte seine Zweifel. Wenn es um
»auswärts arbeiten« ging, hatte er die Bowies noch zu sehr in schlechter Erinnerung.
Toe-Jam quasselte pausenlos davon, ein Mädchen zu finden, mit der er »rummachen« konnte. Blaze glaubte nicht, dass er sich darüber groß den Kopf zerbrechen musste. Er dachte immer noch oft an Marjorie Thurlow, aber welchen Sinn hatte es, über all die anderen nachzudenken? Mädchen standen auf harte Kerle, auf Burschen, die mit ihnen flirteten wie die Typen im Kino.
Außerdem machten Mädchen ihm Angst. Im HH mit Toe-Jams kostbarer Ausgabe von Girl Digest auf dem Klo zu verschwinden und sich einen von der Palme zu wedeln war für ihn okay. Tat ihm gut, wenn er sich mies fühlte. Nach allem, was er bisher so von den anderen Jungs mitbekommen hatte, war das Gefühl beim Wichsen und das Gefühl, das man hatte, wenn man ihn reinsteckte, so ziemlich das gleiche. Und ganz klar fürs Wichsen sprach doch auch: Man konnte es vier- oder fünfmal am Tag machen.
Mit fünfzehn war Blaze schließlich ausgewachsen. Er war knapp zwei Meter groß, und die Kordel, die John eines Tages bei ihm von der linken zur rechten Schulter spannte, war siebzig Zentimeter lang. Seine Haare waren braun, ungebändigt, dick und fettig. Seine Hände waren Pranken, und wenn er sie spreizte, dann waren das fast dreißig Zentimeter vom Daumen bis zum kleinen Finger. Seine Augen waren flaschengrün, strahlend und irgendwie fesselnd – überhaupt nicht die Augen eines Dummkopfs. Neben ihm wirkten die anderen Jungs wie Pygmäen, und doch machten sie sich mit unverschämter Offenheit über ihn lustig. Sie hatten John Cheltzman – inzwischen allgemein bekannt als JC oder
Jeepers Cripe – als Blazes persönliches Totem akzeptiert, und wegen ihres Bostoner Abenteuers waren die zwei Jungs in der geschlossenen Gesellschaft des Hetton House zu Volkshelden geworden. Blaze hatte sich sogar einen noch spezielleren Platz gesichert. Jeder, der schon einmal gesehen hat, wie sich Kleinkinder um einen Bernhardiner drängen, hat eine Vorstellung davon, was es war.
Als sie auf dem Gelände der Bluenotes eintrafen, wurden sie bereits von Dougie Bluenote erwartet, der sie zu ihren Hütten bringen sollte. Er erklärte ihnen, dass sie sich die Riffle Cabins in diesem Sommer mit einem halben Dutzend Jungs aus der South Portland Correctional teilen würden. Münder verwandelten sich bei dieser Neuigkeit in Striche. Jungs aus der South Portland galten als harte Brocken ersten Ranges.
Blaze kam zusammen mit John und Toe-Jam in Hütte 3. Seit dem Ausflug nach »Beantown« hatte John deutlich abgenommen. Sein rheumatisches Fieber war vom
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