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Qual

Qual

Titel: Qual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Egan
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Maschine eingefügt werden und reibungslos ihre Arbeit aufnehmen – die logische Realisierung einer Funktion des nackten Felsens, die schon immer implizit gewesen war. Ein tränengroßer Tropfen aus Signalpeptiden genügte, um die Kettenreaktion in Gang zu setzen, die die Lithophilen dazu veranlaßte, einen Schacht zu öffnen, der zu einer unterirdischen Süßwasserader führte. Und als schließlich die dritte Pumpe installiert war, hatte ich gelernt, wie man anhand des charakteristischen Grün-Orange-Musters aus Mineralien erkannte, wo sich die lohnenden Stellen für einen Brunnen befanden. Die Kanalisation zu finden dauerte etwas länger. Die Schächte waren breiter und tiefer, und es gab weniger Zugangspunkte.
    Dies war die andere Seite von Ned Landers’ wahnsinnigem Alptraum vom Überleben durch Gummireifen. Hier war die Autonomie durch Biotechnik realisiert, jedoch ohne jeden paranoiden Extremismus. Ich hoffte nur, daß die Gründer und Konstrukteure von Stateless – die kalifornischen Anarchisten, die vor mehreren Jahrzehnten für EnGeneUity gearbeitet hatten – noch am Leben waren, um zu sehen, wie gut ihre Erfindung den beabsichtigten Zwecken diente.
    Als gegen Mittag königsblaue Zelte die Wasserpumpen beschatteten, kleinere hellrote Zelte über den Latrinen errichtet waren und sogar ein rudimentäres Erste-Hilfe-Zentrum stand, glaubte ich endlich zu verstehen, was die Ärztin gemeint hatte, als sie mir geraten hatte, nicht zu glauben, ich wüßte es besser als die Einheimischen. Ich rief noch einmal die Katastrophenkarte der Stadt auf. Sie wurde nicht mehr aktualisiert, aber nach der letzten Zählung waren über zweihundert Gebäude – einschließlich des Hotels – eingeebnet worden.
    Vielleicht konnte die technolibération den unversöhnlichen Fels der Kontinente niemals in etwas so Gastfreundliches wie Stateless verwandeln, doch in einer Welt, die sich an Bilder von verwahrlosten Flüchtlingslagern gewöhnt hatte, die im Staub erstickten oder im Schlamm ertranken, konnte dieses Kontrastbild des Dorfes der Abtrünnigen möglicherweise den Grund symbolisieren, weshalb die genetischen Patentgesetze aufgehoben werden sollten – viel überzeugender als es die Insel in Friedenszeiten jemals gekonnt hätte.
    Ich filmte alles und überspielte die Aufnahmen direkt an die Redaktion von SeeNet, während ich hoffte, daß mein Kommentar die perversen Schattenseiten minderte. Je weniger dramatisch das Elend der Anarchisten erschien, desto geringer war die Chance, daß es zu einer politischen Basisbewegung gegen die Invasion kam. Ich wollte nicht, daß Stateless diskreditiert wurde, indem die Kommentatoren wissend den Kopf schüttelten und bemerkten, daß die Insel von Anfang an zum Untergang verdammt gewesen sei. Aber wenn mindestens eintausend Leichen pro Tag nötig waren, um das Interesse des durchschnittlichen Zuschauers zu wecken, dann durfte ich kein zu optimistisches Bild zeichnen.
    Der erste Laster mit Lebensmitteln von der Küste, den ich sichtete, war abgeladen, lange bevor er in unsere Nähe kam. Doch als gegen drei Uhr nachmittags die sechste Lieferung eintraf, hatte man in der Nähe einer Wasserpumpe zwei Marktzelte errichtet, während ein improvisiertes ›Restaurant‹ noch im Bau befindlich war. Vierzig Minuten später saß ich auf einem Klappstuhl im Schatten einer photovoltaischen Markise und hielt eine Schüssel mit dampfendem Seeigeleintopf in den Händen. Es gab noch ein Dutzend anderer Leute, die gezwungen waren, zum Essen auszugehen, weil sie keine eigene Kochausrüstung besaßen. Sie beäugten mißtrauisch meine Kamera, gaben dann jedoch zu, daß es natürlich einen Plan zur Räumung der Stadt gegeben hatte. Der erste Entwurf war vor langer Zeit erstellt worden, und jedes Jahr wurde er neu diskutiert und verbessert.
    Ich fühlte mich optimistischer als je zuvor – doch die Einheimischen konnten meine Stimmung nicht teilen. Sie schienen den Erfolg des Exodus (der in meinen Augen ein kleines Wunder darstellte) für völlig selbstverständlich zu halten, doch nachdem sie bis jetzt alles unbeschadet überstanden hatten und auf den nächsten Zug der Söldner warten mußten, war alles plötzlich wieder viel ungewisser geworden.
    »Was glauben Sie, was in den nächsten vierundzwanzig Stunden geschehen wird?« fragte ich eine Frau mit einem kleinen Jungen auf dem Schoß. Sie schlang schützend die Arme um das Kind und sagte nichts.
    Draußen schrie jemand vor Schmerz. Das Restaurant hatte sich in

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