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Quantum

Quantum

Titel: Quantum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannu Rajaniemi
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wiedergabegetreuer
Moravec-Upload, kein Bruch in ihrem Bewusstsein, eine langsame Operation, bei
der ihre Neuronen einzeln durch künstliche Emulationen ersetzt wurden: eine
identische Transformation ins Digitale. Ein selbst entworfenes Realm in den
Wolken.
    Immer wieder beteuerte sie sich selbst gegenüber, dafür sei der
Preis nicht zu hoch.
    Sie war gerade mit einer neuen Gruppe eingetroffen, als Wolken von
unbemannten westlichen Mikrodrohnen mit zornigem Gebrumm vom Himmel
herabstießen und alles niederbrannten. Zunächst erschien ihr das nur gerecht,
und sie stand einfach da und sah zu, wie das Tor zerstört wurde. Doch dann kam
die schwarze Todesangst über sie, und sie tat das Einzige, was noch möglich
war: Sie rannte ins Zelt des Doktors …
    An ihre Wiedergeburt in diesem Zelt kann sie sich bis heute nicht
erinnern, nur an ein Meer von grellroten Punkten, eine Schraubzwinge um ihren
Kopf und ein Knirschen.
    Xuexue öffnet die Augen. Die Erinnerung rinnt wie kaltes Wasser
an ihr herab. Paul starrt sie mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Was ist dann passiert?«, flüstert er.
    »Lange Zeit gar nichts«, sagt sie. »Ich wurde mit einer Milliarde
Gogols des Königs hierher gebracht und wachte als Schweiger auf. Die Revolution
war gut für mich. Was wir taten, war wirklich neu. Wir schufen eine Welt ohne
kleine Unsterbliche.« Sie schaut zu dem Roboter auf. »Vermutlich will ich immer
noch Sühne leisten. Es wird nie genug sein, aber schon der Versuch tut gut. Ein
Schritt nach dem anderen.«
    »Vielleicht ist es so.« Paul lächelt sie an, und diesmal spricht
aufrichtige Wärme aus seinen Augen. »Ich danke Ihnen.«
    »Nichts zu danken«, sagt Xuexue. »Ich bin jede Woche hier. Kommen
Sie wieder mal vorbei, falls Sie sich zum Bleiben entschließen.«
    »Danke«, meint Paul. »Vielleicht.«
    Dann sitzen sie nebeneinander und schauen den Roboter an. Ihr
Lächeln kehrt langsam zurück. Sie lauscht auf den Atem des jungen Mannes.
Möglicherweise kann sie ihren Rekord heute brechen.

6   Der Dieb und Paul Sernine
    » ZEIT , nur ein bisschen ZEIT , ich bitte Sie, gute Frau …«
    »Ich soll zum dritten Mal ins Schweigen, ich habe meine Schulden
abbezahlt, bitte helfen Sie –
    »Ich bin Handwerker, Schneider, für ein bisschen ZEIT überlasse ich Ihnen mein Bewusstsein, Sie können
einen guten Preis dafür …«
    Mieli kämpft sich durch die Menge der ZEIT -Bettler.
Einige sind nackt wie der erste, andere sehen so aus wie alle anderen auf der
Allee, aber alle haben den gleichen Ausdruck verzweifelter Gier. Manche tragen
Masken und Kapuzen. Sie schubsen und drängeln, um zu ihr vorzudringen, ein Ring
von stampfenden Körpern schließt sich immer enger um sie, und sie spürt, wie
einige ihrer autonomeren Verteidigungs-Gogols erwachen. Ich
muss hier raus, bevor meine Tarnung auffliegt.
    Sie stößt einen Bettler beiseite, rammt einen zweiten mit der
Schulter: Beide stürzen wild um sich schlagend zu Boden. Sie stürmt vorbei.
Einer der Liegenden packt sie am Bein. Sie fällt und schlägt mit dem Ellbogen
schmerzhaft auf dem Pflaster auf. Ein Arm legt sich um ihre Kehle. Eine Stimme
zischt ihr ins Ohr.
    »Gib uns ZEIT , sonst wirst du schon
sehen, ob dich die Wiedererwecker zurückholen, dreckige Fremdweltlerin.«
    »Hilfe«, schreit sie. Ihr wird schwarz vor Augen, und in ihren
Schläfen beginnt es zu hämmern. Ihr Metakortex erwacht, dämpft den Schmerz,
verlangsamt die Zeit und weckt den Rest ihrer Systeme auf. Es wäre so leicht,
den Pöbel wegzufegen wie einen Haufen Stoffpuppen.
    Wind kommt auf. Der Druck auf ihre Kehle lässt nach. Jemand schreit,
und Schritte laufen über die Agora. Sie schlägt die Augen auf.
    Ein Mann in Schwarz und Silber schwebt mit makellos geputzten
Schuhen zwei Meter über dem Boden. Er hat einen Spazierstock in der Hand. Ein
lebender Wind umtanzt ihn, ein Hitzeflimmern, der verräterische Ozongeruch
eines Nano-Kampfnebels. So etwas dürfte es hier gar nicht
geben , denkt sie.
    Hände aus Hitzeschleiern halten die maskierten Bettler auf dem Boden
fest – zahllose Naniten bilden unsichtbare Strukturen und verlängern die
Gliedmaßen des schwarz gekleideten Mannes. Die anderen Bettler ergreifen die
Flucht, werden zu Gevulot-Flecken, sobald sie die Grenze der Agora
überschreiten, und verschwinden in der Menge.
    »Sind Sie verletzt?«, fragt der Mann mit seltsam krächzender Stimme.
Er schwebt neben Mieli herab, seine Schuhe kommen klappernd auf dem Boden auf.
Eine polierte

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